Die Masken von San Marco
eben Joschi gesagt? Mit einer leicht gurrenden Stimme? Offenbar, denn sie sah, dass der Kaiser unter seinem Backenbart wie ein kleiner Junge errötete.
«Ich meine unsere bevorstehende Reise», sagte der Kaiser.
Elisabeth brauchte ein paar Sekunden, um zu begreifen, was der Kaiser damit sagen wollte. «Das Halsband ist in Venedig?»
Franz Joseph senkte bejahend den Kopf. «Sicher ver wahrt im Palazzo Reale.»
Elisabeth runzelte unwillkürlich die Stirn. «Im Palazzo Reale?»
«Du denkst an das Tafelsilber, das im vorigen Jahr verschwunden ist?»
Elisabeth nickte. Bei der letzten, im jährlichen Turnus erfolgten Inventur hatte sich herausgestellt, dass große Teile des Tafelsilbers, das noch von Napoleon stammte, aus dem Palazzo Reale verschwunden waren. Eine Untersuchung der Militärpolizei, vom Stadtkommandanten Toggenburg persönlich geleitet, war ergebnislos verlaufen. Weil man die ganze Angelegenheit für äußerst blamabel hielt, hatte man darauf verzichtet, die zivile venezianische Polizei einzuschalten.
«Toggenburg hat nach dieser Panne den Wachdienst im Palazzo Reale völlig neu organisiert», sagte Franz Joseph.
«Ein solcher Vorfall wird sich kein zweites Mal ereignen.
Und außerdem ist ja da noch Königsegg.»
Wie? Königsegg? Ihr Oberhofmeister, der sich bereits seit zehn Tagen in Venedig aufhielt, um ihren Besuch an Ort und Stelle vorzubereiten? Was hatte der mit der Halskette zu tun?
Als hätte er ihre Gedanken gelesen, sagte der Kaiser lä chelnd: «Königsegg hat auf meine Anweisung hin die Halskette persönlich in Empfang genommen und sofort in den Tresor meines Arbeitszimmers eingeschlossen.» Er stand auf, strich seinen Uniformrock glatt und schnippte einen Kekskrümel von seinem Ärmel. «Der Graf wird die Kette hüten wie seinen Augapfel.»
6
Eberhard von Königsegg stand mit einem randvoll gefüllten Cognacglas in der Hand am offenen Fenster seines Zimmers im Palazzo Reale und blickte auf den nächtlichen Markusplatz hinab. Kurz vor elf hatte es angefangen zu nieseln, und alles, was er erkennen konnte, war ein dunkelgraues Rechteck, umgrenzt von mehreren Dutzend gelblicher Lichtpunkte, bei denen es sich um die moderne Gasbeleuchtung handelte, die der Allerhöchste den Venezianern spendiert hatte. Königsegg stürzte den Cognac in einem Zug hinunter und spürte, wie die in seinem Magen explodierende Wärme ihm etwas Entspannung verschaffte. Er wünschte, er hätte dieses verdammte Casino Molin nie betreten.
Der Schuldschein, den er dort gestern Nacht unter zeichnet hatte, belief sich auf astronomische fünftausendfünfhundert Gulden, und Königsegg wusste, dass die Casinos sich an den Stadtkommandanten wandten, wenn kaiserliche Offiziere ihre Schulden nicht beglichen. Es würde eine offizielle Untersuchung geben, bei dem auch seine Trinkerei und seine Frauengeschichten zur Sprache kommen würden. Am Ende würde man ihn fallenlassen wie eine heiße Kartoffel. Es sei denn …
Königsegg atmete tief durch und schloss das Fenster.
Dann warf er einen Blick auf seine Taschenuhr und stellte fest, dass es bereits kurz vor halb zwölf war. Er hatte sich dazu entschlossen, bis Mitternacht zu warten. Je später er aufbrach, desto unwahrscheinlicher war es, dass ihm jemand im Treppenhaus begegnete.
Eine halbe Stunde später, die er Cognac trinkend im Sessel verbracht hatte, erhob sich Königsegg. Er drehte den Docht der Petroleumlampe herunter und griff nach der Blendlaterne, die er in den Räumen des Kaisers benötigen würde. Dann schloss er den obersten Knopf seines Uniformrocks und trat leise auf den Flur hinaus.
Jetzt fühlte Königsegg eine gewisse Schwere in den Gliedern und ein gummiartiges Gefühl in den Kniegelenken. Er hatte bei den ersten Schritten sogar den grotesken Eindruck, als hätte sich der Fußboden in eine schiefe Ebene verwandelt. Doch dann stellte er fest, dass er sich nur ein wenig an der Wand abstützen musste, um die Richtung einzuhalten. Gut, dachte er, während er sich am Treppengeländer nach unten tastete, dass sich der französische Cognac lediglich auf seinen Gleichgewichtssinn auswirkte. Sein Kopf hingegen – und darauf kam es an – war frei und klar, sein Verstand messerscharf.
Nach der zweiten Treppenkehre hatte er sein Ziel erreicht und stand auf einem langen Flur, der durch ein paar bläuliche Gasflämmchen spärlich erhellt wurde. Auf der linken Seite des Flures, zur Piazza San Marco hin, lag die Suite des Kaisers, die aus drei
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