Die Masken von San Marco
entgegenbringt, der vor ihren Augen fast getötet wird und trotzdem keinen Augenblick lang die Nerven verliert.
Da sich die Gondeln den ganzen Rio dei Giardinetti herab bis zum Becken von San Marco stauten, dauerte es eine Weile, bis Tron und die Principessa ihre gefunden hatten, um zurück zum Palazzo Balbi-Valier zu fahren. Es war kühl, aber vollständig klar. Über dem Bacino di San Marco hing ein runder Mond, und der mattschwarze Himmel war mehr als sonst mit Sternen übersät. Erst nachdem sie die Dogana passiert hatten und sich der Umriss der Salute wie ein riesenhafter Konfektaufsatz vor dem Nachthimmel abzeichnete, brach Tron das Schweigen, in das sie beide versunken waren.
«Du hast ziemlich lange mit der Kaiserin geredet», sagte er. «Königsegg meint, ihr hättet mindestens eine Stunde lang zusammen auf dieser Causeuse verbracht und getuschelt, wie er sich ausgedrückt hat. Es sei nur nicht aufgefallen, weil heute Abend alle Aufmerksamkeit dem Kaiser galt.» Er nahm seinen Zylinderhut vom Kopf und streckte die Beine aus.
«Was die Kaiserin außerordentlich genossen hat», sagte die Principessa. «Sie ist eine ungemein sympathische Frau.»
«Worüber habt ihr gesprochen?»
«Zuerst haben wir gegenseitig unsere Halsketten bewundert. Aber dann haben wir festgestellt, dass es Wichtigeres gibt.»
«Zum Beispiel?»
«Den richtigen Mann zu heiraten. Oder solo zu bleiben.
Jedenfalls bewundert sie es, dass wir zusammenleben, ohne verheiratet zu sein. Sie denkt, wir haben ein Verhältnis wie Chopin und George Sand.»
«Sehr schmeichelhaft», sagte Tron. Er drehte den Kopf, um einer erleuchteten Gondel nachzusehen. Ihre kleinen Bugwellen hinderten das Mondlicht daran, sich in der schwarzen Oberfläche des Canalazzo zu spiegeln. Dann sagte er: «Hat sie den Kaiser nun darüber aufgeklärt, dass der Blumenkübel nicht durch einen raffinierten Feuerwerkseffekt in die Luft geflogen ist? Es sah nicht danach aus.»
«Hat sie nicht», sagte die Principessa. «Franz Joseph war so glücklich darüber, dass sein Plan aufgegangen ist. Sie wollte ihm nicht die Stimmung verderben.» Sie schwieg, und nach einer Weile sagte sie: «Übrigens ist sie ganz vernarrt in den kleinen Welpen, den sich Königsegg angeschafft hat. Sie füttern ihn immer zusammen mit Kirschtorte.» Die Principessa musste lachen. «Sie vermutet, dass der süße Welpe ein kleiner Kampfhund ist, hat aber Königsegg noch nichts gesagt. Sie meint, der Schock wäre im Moment zu viel für ihn.»
«Also alles Missverständnisse.»
Die Principessa nickte. «Aber ohne diese Missverständnisse wäre das Chaos noch größer.»
Tron lehnte sich zurück, legte den Kopf in den Nacken und sah einen hellen Lichtpunkt über den Himmel huschen. Einen kurzen Augenblick dachte er, es wäre eine Sternschnuppe. Aber es war nur eine Zigarettenkippe, die jemand aus dem Palazzo da Mula geschnippt hatte, den sie gerade passierten.
«Ich frage mich», sagte er langsam, «auf welchem Missverständnis unser Verhältnis beruht.»
Die Principessa zuckte die Achseln. «Mein Verhältnis zu dir ist ohnehin völlig irrational.» Wie um ihre Worte zu bekräftigen, rückte sie an Tron heran und lehnte ihren Kopf an seine Schulter.
«Das ist bei mir völlig anders», sagte Tron. «Ich weiß genau, was ich an dir schätze.»
«Was denn?» Die Principessa rückte noch ein Stück nä her, und Tron konnte ihren Frangipaniduft riechen, der sich mit dem fauligen Salzgeruch in der Luft vermischte.
«Dein Geld und deine Desserts», sagte Tron.
***
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