Die Masken von San Marco
Anblick von Bossis Uniform in Schrecken versetzte.
«Ich bin Commissario Tron vom Sestiere San Marco»,
sagte Tron freundlich. «Und das ist ispettore Bossi. Es tut uns leid, wenn wir Sie gestört haben.»
«Und worum geht es, Commissario?» Pater Silvestros Gesichtszüge hatten sich wieder geglättet, aber seine Stimme klang dünn und verängstigt. Er hatte sich vor dem Tisch postiert, auf dem die Lupe und die Bibel lagen, und machte keinerlei Anstalten, seinen Besuchern eine Sitzgelegenheit anzubieten, vermutlich, dachte Tron, weil er nur über zwei Stühle verfügte und sich daraus ein protokollarisches Problem ergab, das er umgehen wollte.
«Es geht um einen Sarg», sagte Tron.
«Um einen Sarg?» Es war unklar, ob Pater Silvestro tatsächlich überrascht war oder ob er es für opportun hielt, Überraschung vorzutäuschen.
«Der Sarg ist Sonntagabend am Bahnhof abgeholt und hierher transportiert worden», sagte Tron. «Wir versuchen, den Mann zu ermitteln, der ihn nach Venedig gebracht hat.»
Pater Silvestro hob die Augenbrauen. «Sie suchen Signor Montinari?»
«Sie kennen ihn?» Jetzt war Tron überrascht.
Pater Silvestro nickte. «Er hat die Grabstätte persönlich bestellt und war am Montag auf der Beerdigung.»
«Wer hat noch an dieser Beerdigung teilgenommen?»
«Niemand außer Signor Montinari und mir», sagte Pater Silvestro. «Er hat keine Verwandten in Venedig.»
«Und wer hat die beiden Träger am Sonntagabend zum Bahnhof kommen lassen?»
«Signor Montinari hatte am Sonntagmorgen aus Verona telegraphiert und mir die Ankunftszeit des Zuges genannt.
Ich habe dann die Leute zum Bahnhof geschickt.» Pater Silvestro schien sein seelisches Gleichgewicht wiedergefunden zu haben, seine Stimme klang jetzt nicht mehr so dünn und unsicher.
«Haben Sie seine Anschrift hier in Venedig?», erkundigte sich Bossi.
«Er wohnt am Campo San Giobbe. Direkt gegenüber der Kirche», sagte Pater Silvestro. Und an Tron gewandt:
«Aber warum stellen Sie mir all diese Fragen?»
«Weil am Sonntag ein Verbrechen im Zug nach Venedig verübt worden ist und wir nach Zeugen suchen», antwortete Tron.
«Und Sie meinen, Signor Montinari könnte etwas beobachtet haben?»
«Es wäre möglich», sagte Tron. «Deshalb möchten wir ihn sprechen.»
Pater Silvestro runzelte die Stirn. «Hat dieses Verbrechen etwas mit dem Toten zu tun, der am Ponte dei Mendicanti aus dem Wasser gezogen wurde?»
Tron lächelte höflich. «Das wissen wir nicht. Wir sind mitten in den Ermittlungen.»
Bossi schaltete sich wieder ein. «Wo befindet sich das Grab von Signor Montinari?»
Pater Silvestro antwortete mit einer Gegenfrage. «Wo liegt Ihre Gondel?»
«An der Wassertreppe gegenüber den Fondamenta Nuove», erklärte Bossi.
«Dann sind Sie direkt daran vorbeigelaufen», sagte Pater Silvestro. «Es ist das frische Grab gleich auf der linken Seite, wenn Sie von der Treppe kommen.»
Tron hatte tatsächlich ein frisches Grab auf dem Weg zur Kirche registriert. «Sie meinen die Bretter, auf denen ein Kranz liegt?»
Pater Silvestro nickte. «Der Stein kommt erst in drei Wochen. Signor Montinari wollte sich persönlich darum kümmern.»
Als sie sich verabschiedeten, gab Pater Silvestro, der inzwischen vollständig zu priesterlicher Gelassenheit zurückgefunden hatte, Tron und Bossi die Hand. Allerdings auf eine etwas spitze Art, so als hätte er ein Gespräch mit zwei Häretikern geführt.
«Gratuliere, Bossi», sagte Tron eine Viertelstunde später, als sie wieder in der Gondel saßen. «Sie hatten recht mit Ihrer Vermutung. Der Sarg ist tatsächlich auf die Isola San Michele gebracht worden.» Auf dem Rückweg zur Gondel hatten sie zwar nicht den Sarg von Signor Montinari gesehen, aber noch einmal das frische Grab zur Kenntnis genommen – eine mit Brettern verdeckte Grube, auf der ein Kranz und ein verwelkter Blumenstrauß lagen.
«Ich frage mich», fuhr Tron fort, «welche Folgerungen Sie jetzt daraus ziehen. Warum hat der professionelle Killer den Sarg nicht entwendet, sondern ihn auf die Toteninsel bringen lassen?»
Bossi schwieg eine Weile mürrisch vor sich hin. Schließl ich sagte er: «Welche Folgerungen ziehen Sie denn daraus, Commissario?»
«Gar keine», antwortete Tron, indem er die Beine ausstreckte und sich in sein Polster zurücklehnte. «Weil ich mir auf all das keinen Reim machen kann.»
Die Gondel schwenkte nach rechts, um nicht mit einem griechischen Raddampfer zu kollidieren, der von der
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