Die Masken von San Marco
Frage ist nur, ob die Kaiserin für unser Pressglas mit derselben Energie kämpft wie für die Erziehung ihres Sohnes.»
«Es käme auf einen Versuch an, Tron.» Stimme und Miene der Principessa verrieten aber, dass sie mehr als nur einen Versuch erwartete. «Weiß man schon etwas über das Protokoll des kaiserlichen Besuchs?»
«Wir wissen nichts. Das ist es ja, was Spaur beklagt: dass man uns im Unklaren lässt. Ich weiß nur, dass diesmal die Einzelheiten des Protokolls erst kurz vorher bekannt gegeben werden.»
«Was hat das für einen Sinn?»
Tron zuckte die Achseln. «Vermutlich will man poten ziellen Attentätern das Geschäft so schwer wie möglich machen.»
Die Principessa machte ein skeptisches Gesicht. «Attentäter? Hier in Venedig? Wo es ohnehin nur eine Frage der Zeit ist, bis die Österreicher abziehen?»
«Das wird der Kaiser etwas anders sehen», entgegnete Tron. «Ich bezweifle, dass sich Franz Joseph bereits mit dem Verlust des Veneto abgefunden hat. Und die Attentäter werden es – auf ihre Weise – ebenfalls anders sehen.»
«Du redest immer von Attentätern. Willst du damit sagen, dass es hier in Venedig Leute gibt, die ernsthaft einen Anschlag auf Franz Joseph planen?»
Tron schüttelte den Kopf. «Nicht dass ich wüsste. Es würde auch der italienischen Sache mehr schaden als nützen. Aber dass es hier Kreise gibt, die von der Militärpolizei genau beobachtet werden, kann ich mir gut vorstellen. Nur erfahren wir in der Questura nichts davon. Schließlich sind wir für unpolitische Fälle zuständig. Für ganz profanen Mord und Totschlag.»
Die Principessa schwieg einen Moment. Dann fragte sie:
«Dieser Mann, den ihr gestern an den Fondamenta Nuove gefunden habt – ist er nun ermordet worden oder nicht?»
«Er ist ermordet worden», antwortete Tron, froh darü ber, dass die Principessa endlich das Thema wechselte. «Der Obduktionsbericht hat Bossi recht gegeben. Jemand hat dem Mann das Genick gebrochen.»
«Was hat Bossi für eine Theorie?»
«Dass ein professioneller Killer am Werk war», sagte Tron.
Die Principessa musste lachen. «Das ist typisch Bossi. Und was glaubst du?»
«Dass Bossi zu viel Phantasie hat. Und dass es noch zu früh für Theorien ist.»
«Was habt ihr vor?»
«Herauszufinden, ob der Ermordete tatsächlich die Bahn benutzt hat. Dieses Billett könnte auch eine falsche Spur sein. Gelegt, um die Polizei zu verwirren.»
«Also hat Bossi Fotografien angefertigt und ist heute noch nach Verona gefahren, um festzustellen, ob jemand diesen Mann gesehen hat, richtig?»
Tron nickte. «So ist es. Ich werde es morgen früh erfahren.»
«Und wenn sich tatsächlich herausstellt, dass der Ermordete die Bahn benutzt hat?»
«Dann haben wir den ersten Eisenbahnmord Venedigs» sagte Tron resigniert. «Das kennt man bisher nur aus London und Paris.» Er stieß einen Seufzer aus. «Bossi wird begeistert sein.»
13
Ispettore Bossi, vor einem Jahr noch sergente Bossi, inzwischen Leiter des venezianischen Polizeilabors, trat vor den Spiegel und neigte den Oberkörper ein wenig nach vorne.
Die Adjustierung auf seinen Schulterklappen, die ihn als ispettore auswiesen – ein blitzender Messingstern rechts, ein blitzender Messingstern links –, waren jetzt deutlicher zu sehen. Er hatte sie vor einer knappen Viertelstunde das letz te Mal geputzt – jedes Mal musste er dafür die Uniformjacke ausziehen. Aber er hatte festgestellt, dass man praktisch alles auf den Messingsternen sah – jeden Fleck und jedes Staubkörnchen. Es ließ sich also gar nicht vermeiden, in regelmäßigen Abständen zum Putztuch zu greifen. Bossi fand, die Messingsterne (die er sich ein wenig größer gewünscht hätte) ließen ihn weiser und interessanter aussehen.
Und wenn er eine bestimmte Position vor dem Spiegel einnahm, den Oberkörper genau im richtigen Winkel nach vorne beugte, dann fühlte er sich auch weiser und interessanter.
Der Bericht, den er in den letzten beiden Stunden in seinem Kabuff im Dachgeschoss der Questura verfasst hatte, würde den Commissario nicht befriedigen. Nicht dass die gestrigen Ermittlungen in Verona erfolglos gewesen waren, durchaus nicht. Er hatte eine Menge herausgefunden – wesentlich mehr als erwartet. Aber zugleich hatte sich eine Reihe von neuen Fragen ergeben, und Bossi glaubte nicht, dass sie sich leicht beantworten lassen würden. Speziell das, was er nach seiner Rückkehr in Venedig erfahren hatte, verstärkte die romanhafte
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