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Die Masken von San Marco

Die Masken von San Marco

Titel: Die Masken von San Marco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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in die Fähre stieg, um sich zurück an die Fondamenta Nuove bringen zu lassen, hatten sich alle Probleme zu seiner Zufriedenheit gelöst. Er hatte sein Blumengebinde auf einem Grab niedergelegt, auf dem «Angelo Crispi» stand, und war – rein zufällig – mit dem Gärtner ins Gespräch gekommen, der zwei  Grabstellen weiter eine kleine Buchsbaumhecke beschnitten hatte. Ohne dass er ihn danach fragen musste, hatte ihm der Gärtner mitgeteilt, dass heute Mittag zwei Polizisten auf der Toteninsel gewesen waren und eine längere Unterredung mit Pater Silvestro geführt hatten.
    Und dann hatte der Mann am Schluss des Gesprächs  noch etwas sehr Interessantes gesagt. Er hatte gesagt, dass man am Montag an den Fondamenta Nuove einen Ertrunkenen geborgen habe, praktisch gegenüber der Isola di San Michele. Die Polizei, hatte er noch hinzugefügt, sei mit drei Gondeln im Einsatz gewesen und habe die Fondamenta einen halben Tag lang gesperrt. Boldù hatte instinktiv nach seiner Börse gegriffen, um dem Mann ein großzügiges Trinkgeld zu geben, hielt es dann aber doch für besser, davon abzusehen. Die Nachricht war viel wert, aber das brauchte er den Mann nicht wissen zu lassen.

16
    Eberhard von Königsegg schlug die Augen auf und war sich ein paar tröstliche Sekunden lang im Unklaren, in welcher Stadt und in welchem Bett er erwacht war. War es Wien?
    Graz? Oder Innsbruck? Dann erkannte er die gelblich getünchte, mit Wasserflecken gesprenkelte Decke, sah den Klingelzug am Kopfende seines Bettes und wusste, dass er in Venedig war. Die Erkenntnis überfiel ihn wie eine kochend heiße Brühe.
    Was, zum Teufel, war gestern Abend nach seiner Verhaftung passiert? Das Letzte, woran er sich erinnerte, waren die beiden Polizisten, die dem professore hinterhergerannt waren, und dass er, Königsegg, in die Dunkelheit gelaufen war und sich schließlich auf dem Campo Santo Stefano wiedergefunden hatte. Doch was war anschließend geschehen? Hatte er sich – was in Anbetracht der Umstände durchaus wahrscheinlich gewesen war – ein Schlückchen genehmigt? Aber wo hatte er so viel getrunken, dass er sich jetzt an nichts mehr erinnerte? Und: War er ganz ohne fremde Hilfe in den Palazzo Reale zurückgekommen, oder hatte ihn eine Militärpatrouille in einer dunklen Gasse aufgelesen? Wenn er es mit eigener Kraft in den Palazzo Reale zurückgeschafft hatte, blieb allerdings unklar, wie er es in seinem Zustand fertiggebracht hatte, die Wachen zu passieren und die Treppen hochzusteigen.
    Das waren quälende, unbarmherzige Fragen, bei denen  jetzt schon feststand, dass die eine Antwort genauso erniedrigend sein würde wie die andere. Und dabei hatte er sich die schlimmste Frage noch gar nicht gestellt: Was würde geschehen, wenn der Kaiser den Tresor öffnete und fest stellte, dass die Kette verschwunden war? Königsegg schloss die Augen und stöhnte. Nein, an all das konnte er in seiner momentanen Verfassung nicht denken, ohne Gefahr zu laufen, dass sein Schädel auf der Stelle explodierte.
    Ach, wie sehr er sich wünschte, tot zu sein – mausetot in Venedig. Sanft dahinzugehen wie das Abendrot, vielleicht ein männlich-militärisch letztes Wort auf den Lippen. Vorsichtig hob er den Kopf und stellte erstaunt fest, dass dies durchaus möglich war – den Kopf zu heben, ohne dass sein Magen revoltierte und eine Horde kreischender Mänaden durch seinen Schädel zog. Dann schlug er die Augen ein zweites Mal auf, und diesmal behielt er sie tapfer geöffnet.
    Er lag auf der Tagesdecke seines Bettes und trug immer noch den bräunlichen Gehrock, in dem er gestern Abend den Palazzo Reale verlassen hatte. Dünnes, kaltes Winterlicht sickerte durch die halbgeschlossenen Vorhänge in sein Zimmer und schien alles mit einem schmierigen grauen Film zu überziehen. Ein Blick auf seine Uhr – sie steckte tatsächlich noch in seiner Westentasche – sagte ihm, dass es kurz vor zwei Uhr war. Ob sie bereits nach ihm fahndeten?
    Und ob sie bereits erkannt hatten, was für ein Schatz ihnen da in die Hände gefallen war?
    Zweifellos hatten die beiden Sergeanten heute Morgen ein Gespräch mit dem zuständigen Commissario geführt.
    Also mit – Königsegg war der Name wieder eingefallen –  Commissario Tron. Und selbstverständlich würde der Commissario mit dem Polizeipräsidenten darüber sprechen.
    Aber eben nicht sofort. Dieser Tron würde die Halskette zuerst untersuchen lassen, und das konnte sich ein oder zwei Tage hinziehen. Königsegg brachte

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