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Die Masken von San Marco

Die Masken von San Marco

Titel: Die Masken von San Marco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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Sacca della Misericordia kam und gerade den Ponte dei Mendicanti passierte. Es war windstill, und der schwarze Rauch, der aus dem Schornstein des Dampfers quoll, blieb als Schmutzstreifen in der feuchten Luft hängen.
    «Signor Montinari», fuhr Tron fort, «bestellt vor einer guten Woche eine Grabstätte. Dann begibt er sich nach Peschiera, wo sein Vater stirbt. Anschließend transportiert er den Sarg nach Venedig und wird im Zug ermordet. Der Mörder aber hat seltsamerweise nichts anderes zu tun, als den Sarg – wie ursprünglich vorgesehen – nach San Michele zu bringen. Wo dieser einen Tag später von Signor Montinari, der eigentlich tot sein müsste, beerdigt wird.» Tron schüttelte seufzend den Kopf. «Wir können nur eines sagen: dass es nicht Signor Montinari gewesen sein kann, der im Zug ermordet worden ist.
    Denn der war Montag auf der Beerdigung.»
    «Und wer ist der Mann im Zug gewesen?»
    «Jemand, der sich als Signor Montinari ausgegeben hat», sagte Tron. «Weiß der Himmel, aus welchen Gründen.»
    «Und warum ist er ermordet worden?»
    Tron zuckte die Achseln. «Ich weiß es nicht. Es ergibt alles keinen Sinn.» Er drehte den Kopf nach links und sah Bossi an. «Was halten Sie von Pater Silvestro?»
    «Er war regelrecht in Panik, als er uns die Tür geöffnet hat», sagte Bossi. «Ist Ihnen das verhängte Kruzifix an der Wand aufgefallen?»

    «Ja, natürlich.»
    «Wenn ein Priester nicht wünscht, dass das Auge des  Herrn auf ihm ruht», sagte Bossi nachdenklich, «dann meist, weil er eine unchristliche Handlung begeht. Deshalb hat Pater Silvestro ein Tuch über das Kruzifix geworfen.»
    «Um welche unchristliche Handlung zu begehen?»
    «Um zu lügen», sagte Bossi. «Pater Silvestro hatte etwas zu verbergen. Das war eindeutig.»
    «Und was hatte er zu verbergen?»
    «Ich weiß es nicht», erwiderte Bossi. «Finden Sie es nicht auffällig, dass er sofort auf die Leiche an den Fondamenta zu sprechen kam?»
    Tron schüttelte den Kopf. «Absolut nicht. Pater Silvestro wird davon gehört haben. Da liegt die Frage auf der Hand.»
    «Und was machen wir jetzt?»
    «Was schlagen Sie denn vor, Bossi?»
    Bossi setzte ein nachdenkliches Gesicht auf. Dann sagte er zögernd: «Man könnte zum Campo San Giobbe fahren.»
    Wobei das «man» nichts anderes bedeuten sollte, als dass Bossi es sich sehr gut vorstellen konnte, auch alleine mit Signor Montinari zu sprechen. Tron verkniff sich ein Lä cheln. «Brauchen Sie mich dabei, Bossi?»
    Bossi setzte wieder ein nachdenkliches Gesicht auf.
    Schließlich räusperte er sich und erwiderte: «Nicht unbedingt, Commissario.»
    «Dann würde ich vorschlagen», sagte Tron, «dass Sie alleine zum Campo San Giobbe fahren und mich vorher in der Questura absetzen.»

15
    Boldù hätte es sich ohne weiteres leisten können, am Molo oder an der Dogana eine Gondel zu mieten, aber er zog es vor, zu den Fondamenta Nuove zu laufen und dort die Fähre zu nehmen. Die Fahrt mit der Gondel hätte mindestens eine halbe Stunde gedauert, und die Wahrscheinlichkeit, dass sich der Gondoliere an ihn erinnern würde, wäre ziemlich groß. Nicht dass er beabsichtigte, etwas Gesetzwidriges zu tun, aber er hielt es für besser, so wenig Spuren wie möglich zu hinterlassen.
    Er hatte die Isola di San Michele noch nie in seinem Leben betreten. Es hatte keinen Grund dafür gegeben – weder einen dienstlichen noch einen privaten. Er kletterte aus der Fähre und stieg mit einem Blumengebinde in der Hand, das er am Rio dei Mendicanti gekauft hatte, die fünf abgetretenen Travertinstufen empor. Sein Gesicht zeigte die gemessene Miene eines Mannes, der an einem Todestag seine Pflicht tut. Er trug den dunkelgrauen Gehrock, den er auch im Zug getragen hatte. Falls er einem der Männer begegnete, denen er am Sonntag den Sarg übergeben hatte, könnte sich ein Problem ergeben. Aber er rechnete nicht damit.
    Er durchquerte die Insel der Länge nach und blieb ein paar Minuten am nördlichen Ufer stehen. Vor ihm lag der Canale dei Marani, dahinter die Insel Murano. Ein dalmatinischer Lastsegler, der hoch mit Brennholz beladen war, glitt vorüber, und Boldù konnte sehen, wie die Männer an Deck froren. Dann drehte er sich um und schlenderte langsam zurück, unsicher, wie er vorgehen sollte. Er brauchte die Information und wusste nicht, wie er sie sonst besorgen sollte. Schließlich entdeckte er im Sektor Greco einen Gärtner, und seine Stimmung hob sich schlagartig.

    Als er eine halbe Stunde später wieder

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