Die Maya-Midgard-Mission
erfreuen."
Jacob Grimm fuhr gedankenverloren mit den Fingern durch seine dichten Locken. Dann fixierten seine blauen Augen den Bruder: "...weitere Menschen, Wilhelm. Das ist die Lösung. Warum bin ich bloß nicht gleich darauf gekommen? Wir sind bestimmt nicht die einzigen, die sich für Federmanns Erzählungen interessieren. In den vergangenen 200 Jahren gab es hellere Köpfe als die unseren. Warum soll nicht schon längst jemand die Auroren gefunden oder das Geheimnis um die Bücher der Sechsten Sonne gelüftet haben? Von Kolumbus über Drake bis Cook müssen doch Hunderte und Aberhunderte Seefahrer die karibische See auf der Suche nach Abenteuern durchkreuzt haben. Und vergiss bitte die Piraten nicht. Irgendjemand muss einfach fündig geworden sein..."
" Und irgendwer muss einfach seine Erlebnisse aufgeschrieben haben, wie Federmann es tat", vollendete Wilhelm den Satz seines Bruders. "Alles, was wir tun müssen ist, uns auf unsere Talente zu besinnen. Wir müssen uns in alle Papiere vergraben, derer wir habhaft werden können, müssen wühlen, stöbern, es den Maulwürfen gleichtun; also im Grunde nur das, was wir ohnehin seit Jahren tun. Komm, Jacob, wir fangen gleich damit an."
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FRANKREICH, PARIS, 12. August. 1810
Meine sehr verehrten Herren Grimm,
mit großem Interesse habe ich Ihren Brief und natürlich auch und vor allem das Büchlein des Melchior Federmann gelesen. Ich darf Sie in aller Bescheidenheit darauf hinweisen, dass vor nicht allzu langer Zeit meine »Pittoresken Ansichten der Kordilleren und Monumente amerikanischer Völker« erschienen sind, deren Beschreibungen sich – wie ich zu meinem Erstaunen bemerken musste – in einigen Teilen mit denen des Federmann decken. Leider hatte ich auf keiner meiner Reisen im Karibischen Meer (und auch in der gesamten Neuen Welt nicht) Gelegenheit zum Kontakt mit Kabkin-Indianern, noch habe ich Kenntnis von der geographischen Lage der Inseln Aurora.
Selbstverständlich werde ich meine Quellen bemühen, um zu weiteren Erkenntnissen über dieses geheimnisvolle Inselvolk zu gelangen. Was eine erneute Reise angeht, muss ich Ihre Hoffnungen jedoch enttä uschen: Ich führe in diesem nüchternen Lande mitten unter dem leeren Treiben der Menschen ein beschäftigtes, einförmiges, in mich gekehrtes Leben. Ich bin von dem Gefühl gepeinigt, nicht schneller vollenden zu können, was ich mir selbst schuldig bin. Meine Ansicht der Welt ist trübe. Der Anblick einer großen Natur, Einsamkeit der Wälder und der rege Wunsch ins Weite und Blaue haben eine Stimmung in mir vermehrt, die nicht heiter ist, mich aber nie im Arbeiten stört und meinen Mut nicht sinken lässt. Mein Befinden wird besser sein, sobald ich erst wieder in der heißen Zone lebe. Doch mein Ziel liegt nicht im Westen. Mein Projekt ist, mich nach dem Kap einzuschiffen, an der Südspitze von Afrika ein Jahr zu bleiben; dann nach Ceylon und Kalkutta zu gehen, mich in Benares, wo Karawanen von Lhasa ankommen, auf Tibet vorzubereiten und dann weiter vorwärts nach Norden einzudringen.
Bitte, werte Herren Grimm, entschuldigen Sie die Länge meiner Au sführungen; doch ich musste Ihnen zeigen, wie sehr meine Pläne bereits gediehen sind, um nicht noch von anderen wichtigen Dingen umgestoßen werden zu können. Dennoch möchte ich Ihnen insoweit behilflich sein, als ich mir erlaubt habe, Ihr Schreiben und das Buch "Von den Reisen ..." an meinen Freund und ehemaligen Reisegefährten, den Arzt und Botaniker Aimé Bonpland, weiterzugeben. Meines Wissens plant dieser überaus treue, mutige und tätige Mann eine Rückkehr nach Südamerika.
Ich versichere Euch, dass Ihr unverzüglich Nachricht erha ltet, sobald Bonpland oder mir neue Erkenntnisse zu Augen oder Ohren kommen.
Bis dahin verbleibe ich mit sehr ergebenen Grüßen
Euer
Alexander von Humboldt
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ARGENTINIEN, BUENOS AIRES, 8. April 1817
Mein lieber Alexander,
hier bin ich nun im Land meiner Sehnsüchte, die auch Du nur zu genau kennst, da wir sie für mehr als fünf Jahre geteilt haben. Und doch muss ich erstaunt begreifen lernen, dass das Ziel aller Sehnsüchte nicht immer deren Erfüllung bedeutet. Will sagen: Es muss doch mehr noch sein, was unsere Unrast nährt; mehr als Fernweh, mehr als Neugier, mehr als Wissensdurst, mehr als Hunger nach Leben und Lebendigkeit. Ich bin auf der Suche nach diesem
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