Die Maya-Midgard-Mission
Reich hineintragen. Offen gesagt: Hier fürchtet ein Blutsauger um seinen Profit aus einem mit Gewalt errichteten Monopol: das älteste Leiden der Neuen Welt, das trotz hartnäckiger Mühen, nicht auszumerzen ist. Als einzigen Erfolg unserer verzweifelten diplomatischen Anstrengungen können wir wohl eine nicht unerhebliche Verbesserung der Lage unseres gefangenen Freundes annehmen. Wie ich höre, ist der Unglückliche nicht länger im Straßenbau eingesetzt, sondern muss jetzt einen Dienst als Garnisonsarzt versehen. Über meinen Gesandten Oviedo erfuhr ich direkt aus Asunción, dass wir mit einer baldigen Freilassung nicht rechnen dürfen. So bleibt uns nichts weiter, als unsere mahnende Stimme weiterhin laut und vernehmlich für die Menschlichkeit und wider die Machtgier zu erheben.
Beschließen möchte ich meinen Brief dann doch mit einer erfreul ichen Botschaft: Die Auroren sind entdeckt und wiedergefunden! Vor fünf Monaten hatte ich einen von den Spaniern erbeuteten Dreimaster ausrüsten lassen und von Caracas ausgehend mit der Mission betraut, jene geheimnisvollen Inseln, die sich nach Ihrer Meinung vielleicht einmal als die Wiege der amerikanischen Kulturgeschichte erweisen könnten, zu finden. Kapitän Manolo und seine Leute, die die Libertador sicher durch die Untiefen und anderen zahlreichen Gefahren des karibischen Meeres leiten sollten, haben ihre Aufgabe mit Bravour gemeistert. Der Kapitän hat die Heimat seiner Ahnen gefunden. Doch obwohl es nach einem ersten Bericht (den ich meinem Brief in Abschrift beilege) Spuren vergangener Besiedelung gibt, konnten leider noch keine Bücher oder sonstige Kulturgüter ans Tageslicht befördert werden.
Gott weiß, dass ich den Beweis vergangener Größe dringender denn je bräuchte, um meinen Leuten die Verheißung künftigen Glanzes glau bhafter zu machen. Es gibt keinen Glauben mehr in Amerika – weder unter den Menschen noch unter den Völkern. Die Verträge sind Papier, die Verfassungen Bücher, die Wahlen Kämpfe, die Freiheit ist Anarchie – und das Leben ist eine Qual.
Die Sechste Sonne wartet weiter auf ihren Aufgang.
Es grüßt Sie Ihr Bewunderer, Simón Bolívar
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DEUTSCHLAND, KÖNIGREICH PREUSSEN,
BERLIN, 17. September 1863
Werter Richard Francis Burton,
Sie kennen mich nicht, noch wird der Klang meines Namens I hnen vertraut erscheinen. Doch ich kenne Sie. Aus dem Munde unseres gemeinsamen Bekannten, Sir Robert Warden, von der Royal Academy zu London habe ich von Ihren großartigen Reisen und Ihrem aufopferungsvollen persönlichen Einsatz gehört. Mir ist bekannt, dass Sie als Europäer gen Mekka gepilgert sind; ich weiß, dass Sie der Leiter jener ruhmreichen Expedition ins tiefste Afrika waren, die den Tanganyika-See und die Quellen des Nils entdeckt hat. Aus Ihren Büchern entnehme ich, dass Sie nicht nur ein äußerst wagemutiger Abenteurer sind, sondern sich auch als ein geistvoller Beobachter, Erzähler und Forscher erwiesen haben. Aus diesem Grunde glaube ich, dass Sie der einzige lebende Mensch sind, der eines der zweifelsohne zahllosen Rätsel der Geschichte unseres Gestirns zu lösen vermag. Ich meine die Herkunft und den Verbleib des Volkes der Kabkin-Indianer.
Was ich Ihnen hiermit zu treuen Händen gebe, ist die Summe eines ungeheuren Fleißes, der Gelehrsamkeit und der Erkenntnis vieler Menschen: Kolumbus, Ihr Landsmann Sir Walter Raleigh, Thomas Morus und Erasmus von Rotterdam, der Mönch und Historiker Las Casas, der Rechtsgelehrte Melchior Federmann, Gottfried Leibniz, das Universal-Genie, Daniel Defoe, der begnadete Schöpfer des Robinson Crusoe, Pater Jean-Baptiste Labat, Alexander von Humboldt, die Lichtgestalt aller W issenschaft und Wilhelm Grimm – mein Bruder –, der Jahre seines Lebens in Archiven und Bibliotheken verbracht und bis zum Tage seines Todes fleißigstes Quellenstudium betrieben hat – seine waltende Spur werden sie in beigefügtem Resümee erkennen; all diese hervorragenden Persönlichkeiten waren beteiligt und viele Namenlose, deren Taten eines Tages in einer Reihe mit denen der Großen leuchten werden; sie alle wurden vom Glanz einer Sonne in ihren Bann geschlagen, die bis heute nicht scheint, deren wärmende Kraft aber selbst in finsterster Nacht die Gemüter und Seelen der Berührten derart zu erhellen vermag, dass sie klar die Größe und Bedeutung dessen sehen, was nicht sichtbar ist: Ich spreche von den Büchern der
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