Die Maya-Midgard-Mission
daheim den Putzlappen schwingen, sich nicht in ihrem privaten Schlammbad suhlen. Rastlos war sie in ferne Länder gereist; hatte in Ruinen in der Türkei, im Kaukasus und in den Hochsteppen Tibets nach den Spuren versunkener Zivilisationen gegraben. Durch ihre Arbeit hatte sie nicht nur die Bekanntschaft mit den Reichtümern des Midas von Phrygien, der Stadtmauer des Gilgamesch von Uruk und dem Mythos des Temudschin gemacht. Sie konnte außerdem dazu beitragen, diesen historischen Figuren, aber vor allem den Gesichtern ihrer weniger prominenten Zeitgenossen, lebendigere Züge zu verleihen.
Beruflich erfolgreich blieb Daria zwiespältig gestimmt, was ihre priv ate Zukunft betraf. Noch war sie nicht bereit, sich den Ansprüchen ihrer Kinder zu stellen. Seit wenigen Tagen, seit der Diagnose war sie in der Lage, ihre Ansprüche sich selbst gegenüber zu formulieren. Immer noch lauerte eine große Leere in ihrem Leben. Immer noch bemühte sie sich, diese Leere mit Bergen von Arbeit und Hügeln wie diesem im Mayaland, zu füllen. Hügel der Erkenntnis, so kamen sie ihr vor.
Unter ihr verschwanden die Blue Mountains, der Jet fuhr seine La ndeklappen aus.
In Augenblicken der Zuversicht, glaubte Daria zu spüren, wie Stei nchen um Steinchen sich einfand, um ein Bild in ihrem Inneren zu gestalten, dessen Konturen ihr einen Ausweg aus ihren Fluchten weisen könnten. Noch holte eine Erinnerung, ein Geschmack alter Bitternis, eine sentimentale Regung sie zurück. Doch seit kurzem kämpfte sie gegen die Macht der Verdrängung. Auch wenn das verschwommene Bild in ihr noch in tausend Stücke zersprang, sie würde es zusammensetzen: Stück für Stück – und ihm neue Farben verleihen.
Die Bücher der Sechsten Sonne waren die Antwort, auch ihre ganz persönliche. Die Fachwelt würde aufhorchen, wenn sie der Öffentlichkeit den Wikinger präsentierte. Wenn die Nordmänner hier gewesen waren, warum dann nicht auch die Ägypter? Oder die Inder? Ein atemberaubender Aspekt. Indizien zur Belegung solch gewagter Thesen waren in der Kulturgeschichte der Mayas vorhanden. Andererseits konnten die Gemeinsamkeiten in der ägyptischen, der indischen wie der Maya-Kultur, deren äußere Manifestationen in Gestalt der Pyramiden nichts weiter als die Spitze eines Eisbergs waren, auch auf einen allen zuteil gewordenen äußeren Einfluss eines Gottes, einer Intelligenz, möglicherweise auch einer außerirdischen oder aus einer anderen Entwicklungsstufe der Spezies Mensch stammenden Wesenheit herrühren...
Das Fahrwerk der Maschine rastete ein und Daria Delfonte sah den Tower des Flugh afens auf sich zurasen.
Sie schüttelte den Kopf über sich selbst und ihre naive Begeisterung, die ihr nach all den Berufsjahren noch manchen Streich zu spielen schien. Aber nicht immer, wie die Aktion mit der Wünschelrute b ewies. Wenn die Rute auf Wikinger reagierte, warum nicht auch auf Pharaonen oder Maharadschas? Daria wusste, dass sie ihren jüngsten Erfolg ihrem feinen Näschen zu verdanken hatte. Ihren Ahnungen, dieser Witterung des Besonderen, hatte sie über die Wünschelrute Ausdruck gegeben. Nicht mehr und nicht weniger. Da ihre innere Stimme sich dieses Ausdrucks bediente, wusste sie, dass es kein Hokuspokus oder fauler Zauber war. Sie wusste, dass viele ihrer Kollegen ähnlich wie sie selbst mit der Intuition des erfahrenen Wissenschaftlers arbeiteten, wenn es auch nicht besonders opportun war, dies zuzugeben. Da hatte Tony Larkins absolut Recht. Nein, in Akademikerkreisen galt nur die streng wissenschaftliche Methode als diejenige, die verlässliche Ergebnisse lieferte; alles andere war verpönt – und wurde dennoch ohne Hemmung angewandt. Der Zweck heiligte die Mittel. Außerdem: Wer würde ernsthaft annehmen können, dass Einstein, Mozart oder da Vinci ihre genialen Fähigkeiten ohne Intuition entwickelt hatten? Der Doppelblindversuch hätte kein Lächeln auf Mona-Lisas Lippen gezaubert und empirische Werte Shakespeares glasklare Sonette höchstens verwässert.
Mit einem leichten Ruck setzte der Pilot sein Flugzeug auf. Mit Jama ika unter den Füßen entspannte Daria sich ein wenig.
Während ihres Studiums hatte sie sich intensiv mit dem mysteriösen Fall des englischen Architekten Frederick Bligh Bond beschäftigt. E igentlich müsste der Name Bligh Bond in einem Atemzug mit Carter oder Schliemann ausgesprochen werden, schließlich hatte der Mann zu großen Teilen die englische Glastonbury Abtei, das vermeintliche Grab des mythenumwobenen
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