Die Maya-Midgard-Mission
den Festsaal des Palastes. Die Lüfte schwirrten vom Klanggewitter erfüllt. Ein besonders eifriger oder ehrgeiziger Vasall hatte eine Orgel aus Brabant herangeschafft, um seinen Herrn und Kaiser zu ergötzen. Die Orgel verdeckte fast die ganze Ostwand des Saales. Der Organist war ein Meister der Manuale und seine Sklaven, die Kalkanten, die sein wunderschönes Spiel mit dem nötigen Nachschub an Wind versorgten, traten sich in einem Nebenraum die Füße an den Bälgen wund.
Der Festsaal ward hell von einem Dutzend vierundzwanzigarmiger, goldener Kerzenleuchter bestrahlt. An der schweren Balkendecke hi ngen die Modelle der stolzesten Karavellen der spanischen Seefahrtsgeschichte. Eine Galerie prachtvoller Gemälde, die von ihren Helden und deren Taten auf den Meeren zum Ruhme der Könige erzählten, schmückten die Wände. Tür- und Fensterbögen des Festsaales und der riesige, offene Kamin an der Nordwand, in dem kräftige Buchenscheite die gelblodernden Flammen nährten, waren mit verschnörkelten, blattgoldüberzogenen Stuckarbeiten verziert. Die Bauherren wie die Veranstalter der Festivität hatten es an nichts fehlen lassen. Eine fröhlich lärmende Gesellschaft füllte den Raum mit Leben. Um die Ehrengäste herum – Hernan Cortés, Admiral Andrea Doria, sowie den Herzog von Alba und natürlich den Kaiser selbst – hatten sich Menschentrauben gebildet. Es wurde gescherzt, geschlemmt und ausgelassen getanzt. Valencia feierte die Anwesenheit der ruhmreichen Helden, ungeachtet der von ihnen jüngst erlittenen Schmach im Korsarenfeldzug gegen Algier.
Nur ein Mann schenkte dem erquicklichen Treiben keine Aufmer ksamkeit. Unbeachtet verließ er den Reigen der Festgäste, um ein abgelegenes Gemach unter dem Dach des Palastes aufzusuchen. Nur das Zischen der Bälge und das Schnaufen der Bälgetreter begleitete sein Davonstehlen. Sollten die anwesenden Spanier, Italiener, Niederländer und Deutschen ihrem Herrscher doch huldigen: Kilian Martin Metzler hatte Wichtigeres zu tun. Er gehörte dem Hofstaat des Kaisers seit nunmehr 25 Jahren an. In seinen Aufgabenbereich fielen die Hofberichterstattung und die Ausbildung der Skribenten. Metzler war zweiter stellvertretender Hofchronist unter Santa Cruz, des Kaisers Kartographen und Vertrauten. Er hatte wie dieser eine absolute Vertrauensposition am Hofe inne; denn er wohnte beinahe allen wichtigen, politischen Verhandlungen bei. Im Scherz pflegte er zu sagen, dass sein Platz hinter dem Ohr des Kaisers sei. Das Mäuschen zu spielen, war ein gefährliches Spiel – besonders im Schatten des Katers. Aber Metzlers schmächtige Statur, seine ungesunde, fahle Hautfarbe, die stumpfen Haare und sein überhaupt wenig ansehnliches Wesen kamen ihm beim Spionieren zu Hilfe. Niemand mochte dem mausgrauen Mann Beachtung schenken.
Den Augsburger Reichstag genauso wie die beiden Reichstage zu R egensburg, die Strafaktion gegen die Stadt Gent, oder die geheimen, nächtlichen Friedensgespräche von Villeneuve und Villefranche zwischen dem Kaiser und seiner klugen Schwester, dieser herrlichen Eleonor, der Gemahlin des französischen Königs, hatte er als Ohrenzeuge erlebt. Doch niemand, nicht einmal die Dame seines Herzens, die leider nur in seiner Einbildung existierte, ahnte, dass er noch einem anderen Herren diente: Kilian Martin Metzler war ein Agent des Bartholomäus Welser.
Welser, dieser schwerreiche und somit äußerst mächtige Augsburger Handelsherr und Bankier, der neben mehreren Feldzügen auch die Krönungszeremonien des jungen Kaisers finanziert hatte und dafür später mit der Kolonie Venecuela besche nkt worden war, wusste gern im Voraus, wohin seine Dukatenströme flossen. Metzler versorgte seinen heimlichen Auftraggeber mit einer Fülle an Informationen, deren Brisanz nicht immer so deutlich erkennbar war, wie die Wichtigkeit der heutigen Nachricht. Würde es ihm gelingen, Welser von der neuen Entwicklung in Kenntnis zu setzen, bevor dessen Konkurrenz – der Bund der Hanse etwa oder Anton Fugger – davon erführe, dann wäre es in der Folge durchaus möglich, dass der alte Glanz des Hauses Welser wieder zu neuem Licht erstrahlte.
Warum Kilian Martin Metzler sich selbst immer wieder dem Risiko des Hochverrats au sgesetzt hatte, das war ihm über die Jahre entfallen. Mochte er anfangs von nationalen Gefühlen und später von nackter Geldgier geleitet worden sein, heute handelte er nur noch aus schierer Gewohnheit – und zum letzten Mal. Warum er seinem heimlichen Herrn
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