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Die Maya-Midgard-Mission

Die Maya-Midgard-Mission

Titel: Die Maya-Midgard-Mission Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Sieberichs
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verschiedener Kletterpflanzen. Die Finger der karibischen Flora hielten das Haus fest im Griff. So dicht umrankt war es, dass man nur mit Mühe das stufenartige, weiße Dach unter der grünen Haube erkennen konnte. Selbst der Papagei, der mit majestätisch erhobenem Haupt auf einem umgedrehten Holzbottich vor der Veranda ein Sonnenbad nahm, schien im Dornröschenschlaf erstarrt. Und nicht einmal sein farbenfroh schillerndes Federkleid konnte Daria einen Ton entlocken. Sie war nur noch müde.
    " Das ist Rubens", stellte Kautsky ihr den Vogel trotzdem vor. "Das Maskottchen. Das Haus zeige ich Ihnen heute Abend. Gleich dahinten ist Ihre Bleibe."
    Darias sah einen grasbewachsenen Hügel, der sanft hinter dem Haup tgebäude anstieg und gesprenkelt war mit braunen Tupfen. Dazwischen knabberten ein paar Ziegen am Gras. Die braunen Flecken entpuppten sich als Lehmhäuser – acht an der Zahl. Die Hütten und die Ziegen am Hang hätten einem beliebigen afrikanischen Kraal entliehen sein können. Die Lichtung, die sie nun überquerten, war mit einem hohen, saftigen Rasenteppich ausgelegt. Ringsherum wuchsen verkrüppelte, von Weinranken überzogene Bäume, die über und über mit weißen Blüten bedeckt waren.
    " Wonach riecht das bloß?", fragte Daria und sog schnuppernd die Luft ein.
    " Orangenblüten. Irgendein unbekannter Naturfreund muss vor vielen Jahren diesen Orangenhain angelegt haben. Und später sind die Bäume wild weitergewachsen. Sie stehen hier windgeschützt und bekommen genug Regenwasser. Hübsch, nicht wahr?" Kautsky pfiff vergnügt eine Passage aus Carmen, trat an einen Baum heran und pflückte zwei kleine, verkümmerte Orangen. "Sehen nicht besonders aus, aber schmecken tun sie köstlich", sagte er und reichte Daria eine. "Kosten Sie mal."
    Daria biss ein Stück Schale ab und saugte an dem blassen, kernreichen Fruchtfleisch. Ein süßer, zugleich wilder und bitterer Orangeng eschmack zog ihr den Gaumen zusammen. Sie fühlte sich belebt und gar nicht mehr müde. "Ein Aphrodisiakum", sagte sie und Stimmchen kicherte keck in ihrem Kopf.
    Kautsky brach einen Orangenblütenzweig ab und steckte ihn in ihr kupferblondes Haar.
    "Wofür ist das?"
    " Oh", sagte Kautsky, "für alles und anstelle von Worten."
    Darias U nterkunft erwies sich als ein kreisrundes, kleines Lehmhaus, das mit Bastmatten bedeckt und mit Schlingpflanzen überwuchert war, genau wie das Hauptgebäude. Irgendwie hatte sie nach dem furiosen Auftakt mehr erwartet. Aber andererseits war es vielleicht genauso gemeint, wie der äußere Eindruck es vermittelte: Die Natur sollte auf Aurora die Hauptrolle spielen. Zivilisatorische Einrichtungen hatten sich dieser natürlichen Dominanz zu fügen. Daria dachte an ihre Robinson-Fantasien und musste innerlich laut lachen. Sie, die auf einer einsamen Insel mit primitivsten Mitteln inmitten üppigster Natur und deren Vielfalt arbeiten wollte und gerade erst einem yukatekischen Erdloch im Dauerregen entstiegen war, reagierte enttäuscht angesichts einer wenig luxuriös erscheinenden Ferienunterkunft.
    " Peter Kautsky", sagte sie. "Diese Aurora ist eine wirkliche Schönheit. Aber ich, ich muss jetzt erst einmal eine Weile ausruhen, es sei denn Sie haben ein Faible für verwelkte Frauen."
    Daria Delfonte ahnte nicht, wie dringend sie einen klaren Kopf bra uchen würde. Doch von ihrem tiefen Schlaf hätte sie nichts und niemand mehr abhalten können. Nicht einmal das Meckern der Ziegen oder das Farbenspiel des beginnenden Sonnenuntergangs. Sie hockte sich auf die Kante eines wuchtigen Bambusbettes und streifte ihre Kleider ab. Die Augen fielen ihr zu, noch bevor der Kopf das Kissen berührte.
    Kautsky hatte sich leise zurückgezogen. Er verstand die Erschöpfung seines Gastes nur zu gut. Als er Santa Aurora zum ersten Mal gesehen hatte, war ihre Schönheit auch ihm zu Kopf gestiegen, hatte ihm die Sprache verschlagen und die Sinne verwirrt. Genau betrac htet war seitdem ein Tag und eine Nacht vergangen und der Schwebezustand dauerte an. Die Gegenwart von Dr. Daria Delfonte, dieser wunderschönen, gebildeten, feinfühligen und begehrenswerten Frau, erzeugte in ihm jenes gewisse Prickeln. Ein Kribbeln, das eher im Lendenbereich als im Bauch anzusiedeln war, und das ihn genau so verwirrte wie dieses Dumme-Jungen-Gefühl, wenn er sich von ihrem Mona-Lisa-Lächeln ertappt oder durchschaut fühlte. Er wertete es als günstiges Vorzeichen, dass sie in einer vergleichbaren Situation ähnliche Gefühle empfand, und sich

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