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Die Mayfair-Hexen

Die Mayfair-Hexen

Titel: Die Mayfair-Hexen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Ein Mann und eine Frau liebten einander so sehr, daß sie sich nicht voneinander trennen wollten. Aber ich kann mich nicht erinnern, es selbst einmal erlebt zu haben. Nichts hinderte einen daran, sich mit jeder beliebigen Frau, mit jedem beliebigen Mann zu treffen, und Liebe und Freundschaft waren nichts Romantisches; sie waren rein.
    Es gibt noch vieles, was ich zu diesem Leben sagen könnte; von den verschiedenen Arten von Liedern, die wir sangen, könnte ich erzählen, von der Natur unserer Streitigkeiten, die nämlich eine eigene Struktur aufwiesen, von den Arten der Logik, die bei uns gebräuchlich waren und die Sie wahrscheinlich lachhaft finden werden, und von den schrecklichen Irrtümern und Fehlern, die junge Taltos unausweichlich begingen. Es gab kleine, affenartige Säugetiere auf der Insel, aber uns fiel es nie ein, sie zu jagen, zu kochen und zu essen. Eine solche Idee wäre unerträglich vulgär gewesen.
    Ich könnte Ihnen auch die Behausungen beschreiben, die wir bauten – es gab verschiedene Arten -, und den kargen Schmuck, den wir trugen; wir mochten keine Kleider, wir brauchten keine, und wir wollten etwas so Schmutziges nicht gern auf der Haut tragen. Unsere Boote könnte ich Ihnen schildern, und wie schlecht sie waren – und noch tausend andere Dinge.
    Es kam vor, daß einige von uns sich an einen Ort schlichen, wo die Frauen wohnten, nur um zu sehen, wie sie einander in den Armen hielten und sich liebten. Wenn die Frauen uns entdeckten, bestanden sie darauf, daß wir uns entfernten. Es gab Stellen in den Felsenklippen – Grotten, Höhlen, kleine Nischen, in denen Quellen sprudelten -, die zu wahren Tempeln der Liebe geworden waren, für Männer und Frauen wie auch für die Frauen unter sich.
    Langeweile gab es nie in diesem Paradies. Es war zuviel zu tun. Man konnte stundenlang am Strand umhertollen und sogar schwimmen, wenn man es wagte. Man konnte Eier und Früchte sammeln, tanzen und singen. Die Maler und die Musiker waren die fleißigsten, glaube ich, aber auch die Boots- und Hüttenbauer hatten alle Hände voll zu tun.
    Für den Gescheiten bot sich ein weites Feld. Ich galt als sehr gescheit; ich erkannte Zusammenhänge in den Dingen, die andere nicht bemerkten: daß beispielsweise bestimmte Muscheln in den warmen Tümpeln schneller wuchsen, wenn die Sonne die Tümpel beschien, und daß gewisse Pilze am besten an den dunklen Tagen gediehen. Auch gefiel es mir, Systeme zu erfinden, einfache Aufzüge etwa, aus Ranken und Reisigkörben, mit denen sich das Obst von den Baumwipfeln zur Erde befördern ließ.
    Aber so sehr mich die Leute deshalb auch bewunderten, sie lachten auch darüber. Eigentlich war es nicht nötig, so etwas zu tun, fanden sie.
    Von öder Plackerei wußte man nichts. Jeder Tag dämmerte mit Myriaden neuer Möglichkeiten herauf. Niemand zweifelte daran, daß Vergnügen etwas absolut Gutes sei.
    Und Schmerz war schlecht.
    Deshalb erregte die Geburt soviel Ehrfurcht und Vorsicht bei uns allen, denn sie bedeutete Schmerzen für die Frau. Wohlgemerkt, die Frauen der Taltos waren keine Sklavinnen der Männer. Sie waren oft ebenso stark wie die Männer, ihre Arme waren genauso lang und ebenso geschmeidig.
    Und die Geburt, die mit Lust und mit Schmerz verbunden war, bildete das bedeutsamste Geheimnis in unserem Leben.
    Jetzt wissen Sie, was Sie wissen müssen. Wir lebten in einer Welt der Harmonie und des wahren Glücks, in der es ein großes Geheimnis und viele kleine, wundersame Dinge gab.
    Es war ein Paradies, und nie wurde ein Taltos geboren, der sich – mochte noch soviel Menschenblut verkommener Vorfahren in seinen Adern fließen – nicht an das verlorene Land und die Zeit der Harmonie erinnerte. Kein einziger.
    Lasher erinnerte sich sicher daran. Emaleth erinnerte sich sicher daran.
    Die Geschichte vom Paradies liegt uns im Blut. Wir können es sehen, wir hören den Gesang der Vögel, und wir fühlen die Wärme der vulkanischen Quellen. Wir schmecken die Früchte, wir hören die Lieder; wir können unsere Stimmen erheben und die Lieder selbst erklingen lassen. Und daher wissen wir es; wir wissen, was Menschen nur glauben können: daß das Paradies wiederkehren kann.
    Bevor wir zu der Katastrophe kommen, die uns ins Land des Winters führt, will ich noch eines hinzufügen.
    Ich glaube durchaus, daß es Böse unter uns gab, Gewalttäter. Ich glaube, es gab sie. Es gab vielleicht welche, die töteten, und welche, die getötet wurden. Ich bin sicher, daß es so gewesen sein

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