Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Mayfair-Hexen

Die Mayfair-Hexen

Titel: Die Mayfair-Hexen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
Vom Netzwerk:
Mann, allesamt erpicht darauf, sein Kind zur Welt zu bringen. Zuweilen fand sich auch eine Frau, die sechs oder sieben Kinder unbeschadet zur Welt gebracht hatte, oder eine andere, die dies aus unbekannten Gründen überhaupt nicht konnte. Das Trinken an den Brüsten der Frauen war ein exquisites Vergnügen; sich dazu in Gruppen zu versammeln, war herrlich, und die Frauen, die ihre Brüste dazu gaben, gerieten oft in eine sinnliche Trance. Ja, Frauen konnten auf diese Weise zum Höhepunkt der Lust gelangen und ohne jeden anderen Kontakt Befriedigung finden.
    An Vergewaltigung kann ich mich nicht erinnern; an Hinrichtungen kann ich mich nicht erinnern, und daß jemand besonders lange irgendeinen Groll gehegt hätte, weiß ich auch nicht.
    Ich erinnere mich aber an inständige Bitten, an Diskussionen und lange Reden, ja, sogar an Zank und Streit um Partner, aber dergleichen blieb immer im Reich der Worte und der Lieder.
    An schlechte Laune oder Grausamkeit erinnere ich mich nicht. An ungebildete Seelen erinnere ich mich nicht. Das heißt, alle kamen mit einem Konzept von Sanftmut, Güte und dem Wert der Glückseligkeit zur Welt; sie hatte eine starke Liebe zur Lust und den Wunsch, andere an ihrer Lust teilhaben zu lassen, um so den ganzen Stamm glücklich zu machen.
    Männer verliebten sich innig in Frauen und umgekehrt. Sie sprachen tage- und nächtelang miteinander, und schließlich wurde die Entscheidung getroffen, sich zu paaren, oder Argumente verhinderten, daß dies jemals stattfand.
    Es wurden mehr Frauen als Männer geboren – so hieß es jedenfalls; niemand hat sie wirklich gezählt. Ich glaube aber, daß es stimmt und daß sie schneller starben. Ich glaube auch, daß dies ein Grund dafür war, daß die Männer ihnen so vollendete Zärtlichkeit entgegenbrachten: Sie wußten, daß die Frauen wahrscheinlich sterben würden. Die Frauen gaben die Kraft ihres Körpers weiter; einfache Frauen schätzte man besonders, weil sie die ganze Zeit fröhlich waren, sich des Lebens freuten und keine Angst vor dem Gebären hatten. Alles in allem waren die Frauen kindlicher, aber auch die Männer waren einfältig.
    Auf einen Unfalltod folgte unweigerlich eine zeremonielle Paarung, um so den Toten zu ersetzen, und auf Zeiten der Seuche folgten wilde und orgiastische Paarungen, mit denen der Stamm das Land neu zu bevölkern trachtete.
    Es herrschte kein Mangel. Das Land war nie zu klein. Nie stritten Leute um Früchte oder Eier oder milchspendende Tiere. Es gab zuviel von allem. Es war zu warm und zu schön, und es gab zu viele angenehme Dinge zu tun.
    Es war das Paradies, es war Eden, es war das Goldene Zeitalter, von dem alle Völker erzählen, die Zeit, bevor die Götter zürnten, die Zeit, bevor Adam vom tödlichen Apfel aß, eine Zeit der Seligkeit und der Fülle. Nur: Ich erinnere mich an diese Zeit Ich habe sie erlebt.
    An Gesetze erinnere ich mich nicht.
    An Rituale erinnere ich mich – Tänze, Lieder, und wie wir konzentrische Kreise bildeten, die sich in entgegengesetzten Richtungen drehten. Ich erinnere mich an die Männer und Frauen, die Flöten und Trommeln spielen konnten, sogar saitenbespannte Harfen, die sehr klein waren und manchmal aus Muscheln gemacht wurden. Ich erinnere mich, wie wir in einem ganzen Trupp mit Fackeln an den tückischsten Steilwänden entlang liefen, um zu sehen, ob wir es konnten, ohne abzustürzen.
    Ich erinnere mich an Malerei. Diejenigen, die diese Kunst beherrschten, übten sie an den Felswänden aus und in den Höhlen, die das Tal umgaben. Manchmal machten wir ganze Tagesreisen, um all diese Höhlen zu besuchen.
    Es galt als unschicklich, allzu viel auf einmal zu malen. Jeder Maler mischte sich seine eigenen Farben aus Erde oder aus seinem Blut oder dem einer armen, abgestürzten Bergziege oder eines Schafes und anderen natürlichen Stoffen.
    Mehrmals, so erinnere ich mich, kam der ganze Stamm zusammen und bildete Kreis um Kreis um Kreis. Es ist denkbar, daß dabei die gesamte Bevölkerung versammelt war. Niemand wußte es.
    Zu anderen Gelegenheiten versammelten wir uns in kleinen, einfachen Kreisen und bildeten die Kette der Erinnerung, wie wir sie kannten – nicht so, wie Stuart Gordon es Ihnen beschrieben hat.
    Einer von uns rief: »Wer erinnert sich an alte, alte Zeiten?« Und jemand meldete sich zu Wort und erzählte eine Geschichte von längst dahingegangenen Weißhaarigen, die er als Neugeborener hatte erzählen hören. Solche Geschichten bot er als die ältesten an, bis ein

Weitere Kostenlose Bücher