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Die Mayfair-Hexen

Die Mayfair-Hexen

Titel: Die Mayfair-Hexen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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zu verbrühen. Das Wasser in den Tümpeln wurde so heiß, daß man es nicht mehr trinken konnte. Das Land bewegte sich und ächzte Tag und Nacht.
    Viele Taltos starben. Die Fische in den Teichen waren tot, und die Vögel waren von den Felsen geflüchtet. Männer und Frauen liefen in alle Himmelsrichtungen davon und suchten nach Orten, wo es weniger turbulent zuging, aber sie fanden keine, und manche kamen zurückgelaufen.
    Als es schon zahllose Tote gegeben hatte, machte sich der ganze Stamm daran, Flöße, Boote, Einbäume und dergleichen zu bauen, um die Fahrt zum Land der bitteren Kälte zu unternehmen. Wir hatten keine andere Wahl. Unsere Heimat wurde von Tag zu Tag aufgewühlter und heimtückischer.
    Ich weiß nicht, wie viele zurückblieben, ich weiß nicht, wie viele davonkamen. Tag und Nacht bauten die Leute Boote und stachen damit in See. Die Klugen halfen den Törichten – nach diesen Kategorien unterschieden wir Alte und Junge, und um den zehnten Tag herum, wie ich es nachträglich berechnen würde, stach ich mit zweien meiner Töchter, zwei Männern, die ich liebte, und einer Frau in See.
    Und im Land des Winters war es, an dem Nachmittag, da ich meine Heimat im Meer versinken sah, daß die Geschichte meines Volkes wirklich begann.
    Damals begannen Mühsal und Plage, damals begann das eigentliche Leiden, und damals erwachte auch die Vorstellung von Mut und Opferbereitschaft. Damals begann alles, was den Menschen als heilig gilt, Dinge, die nur aus Widrigkeiten und Kampf und aus der wachsenden Idealisierung von Glückseligkeit und Vollkommenheit entstehen können, und diese wiederum blüht im Geiste erst dann, wenn das Paradies unwider bringlich verloren ist.
    Von einer hohen Steilwand aus sah ich, wie die große Katastrophe ihr Ende nahm; von meiner hohen Warte sah ich, wie das Land in Stücke brach und im Meer versank. Von dort oben sah ich die winzigen Gestalten der Taltos, die im Meer ertranken. Und ich sah die gewaltige Flutwelle, wie sie die Steilküste und die Berge umbrandete, in die verborgenen Täler rauschte und die Wälder überflutete.
    Der Böse hat triumphiert, sagten die, die bei mir waren. Und zum ersten Mal gerieten die Lieder, die wir sangen, und die Geschichten, die wir erzählten, zu wahren Klagen… Es muß im Spätsommer gewesen sein, daß wir uns ins Land der bitteren Kälte flüchteten. Es war eisig. Das Wasser, das an die Gestade brandete, war kalt genug, um einen Taltos bewußtlos werden zu lassen. Und wir begriffen sofort, daß es nie wieder warm sein würde.
    Aber der wahre Atem des Winters war etwas, das wir uns immer noch nicht hatten träumen lassen. Die meisten der Taltos, die aus dem verlorenen Land entkommen waren, starben in diesem ersten Winter. Die Hinterbliebenen vermehrten sich wie rasend, um den Stamm zu erneuern. Und da wir im Grunde nicht geahnt hatten, daß der Winter wiederkommen würde, starben auch im nächsten Jahr wieder viele.
    Im dritten oder vierten Jahr hatten wir begriffen, was der Kreislauf der Jahreszeiten war.
    Aber diese ersten Jahre waren eine Zeit des rasenden Aberglaubens; endlos plapperten und diskutierten wir über die Frage, warum wir aus dem verlorenen Land verstoßen worden waren, warum Schnee und Wind über uns gekommen waren, um uns zu töten, und ob der gute Gott sich gegen uns gewandt hatte oder nicht.
    Meine Neigung, alles mögliche zu beobachten und Dinge zu bauen, machte mich zum unumstrittenen Anführer. Aber der ganze Stamm lernte schnell, wie warm der Kadaver eines toten Bären oder eines anderen großen Tieres war, und wie warm auch ihre pelzigen Häute halten konnten. Erdlöcher waren natürlich wärmer als Höhlen, und mit den Hörnern einer toten Antilope konnten wir uns tiefe unterirdische Behausungen graben, die wir dann mit Baumstämmen und Steinen abdeckten.
    Wir wußten, wie man Feuer machte, und sehr bald verstanden wir uns vorzüglich darauf, denn hier fanden wir kein Feuer, das aus irgendeiner Felsenspalte wehte und umsonst zu haben war. Zu verschiedenen Zeiten entwickelten einzelne Taltos ähnlich konstruierte Räder, und bald bauten wir rohbehauene Karren, mit denen wir unseren Proviant und unsere Kranken transportierten.
    Allmählich erlernten wir, die wir alle Winter im Land der bitteren Kälte überlebt hatten, manche wertvollen Dinge, die wir den Jungen beibringen mußten. Zum ersten Mal kam es darauf an, achtzugeben. Die Aufzucht der Kinder war ein Mittel zum Überleben geworden. Jede Frau gebar mindestens

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