Die McKettricks aus Texas: Über alle Grenzen (German Edition)
einen Schal zu stricken. Leider nicht sehr erfolgreich. Für den flüchtigen Beobachter sah sie sicher ruhig und entspannt aus, wie eine echte Krankenschwester im Dienst. Gut ausgebildet und gefasst.
Um Austin machte sie sich tatsächlich keine Sorgen. Tate und Garrett waren wegen des ungewöhnlich vielen Schlafens beunruhigt. Aber Paige wusste, dass er einfach seine körperlichen Reserven aufgebraucht hatte. So stark er auch sein mochte, sein Schlafbedürfnis war irgendwann größer gewesenals der Wille, wach zu bleiben. Er brauchte diese Phase zur Erholung und Genesung.
Was sie beunruhigte, war nicht Austins Zustand – sondern ihr eigener.
Denn sie verlor allmählich ihre Objektivität.
Was als Internetrecherche für ein vernünftiges Brautjungfernkleid begonnen hatte, wandelte sich zu einer Faszination für die vielen Fotos von Hochzeitskleidern.
Paige schob diese eigenartige Begeisterung auf die Tatsache, dass ihre beiden Schwestern bald heiraten würden. Und irgendwie war sie immer noch das kleine Mädchen, das den beiden hinterherlief und genau das Gleiche tun wollte, was sie taten.
Möglicherweise fühlte sie sich ein bisschen ausgeschlossen.
Als Libby ihren Führerschein machte und im Jahr darauf Julie, hatte Paige es kaum erwarten können, sich ebenfalls ans Lenkrad des Familienautos zu setzen.
Als Libby sich auf der Highschool die bis zur Taille reichenden Haare abschneiden ließ, setzte Paige bei ihren Haaren selbst die Schere an. Einen Besuch im Curly-Girly-Salon konnte sie sich nicht leisten.
Sie und Julie hatten sich dauernd gestritten, weil sie sich ständig etwas Schwarzes und Dramatisches aus deren Kleiderschrank „borgte“.
Und die Liste ließe sich noch um etliche Punkte ergänzen. Trotzdem war es doch eine harmlose Beschäftigung, sich Hochzeitskleider anzusehen, oder?
Erst am nächsten Morgen schlug Austin die Augen endgültig wieder auf. Erschrocken setzte er sich auf und betrachtete Paige.
Sie las in seinem Taschenbuch, das sie jetzt weglegte.
Er schlug die Decke zurück, verschwand im Badezimmer und kam mit zerzausten Haaren wieder heraus, weil er mit den Fingern hindurchgefahren war.
„Wie lange habe ich geschlafen?“, fragte er.
Sie ließ sich Zeit mit der Antwort, denn es war herrlich, ihn so durcheinander zu sehen. Diesen Moment wollte sie so lange wie möglich genießen.
„Nicht ganz sechsunddreißig Stunden“, sagte sie.
Noch immer in der Jogginghose, in der er eingeschlafen war, sank Austin auf die Bettkante. Er fluchte. „Sechsunddreißig Stunden? War ich im Koma?“
„Natürlich warst du nicht im Koma“, erklärte Paige. „Andernfalls hätte ich ja wohl einen Krankenwagen gerufen.“
„Du meinst, ich habe einfach nur geschlafen? Fast zwei Tage lang?“
„Ja.“
Er stand wieder auf und ging zur Kommode. Darin hatte er offenbar vor dem großen Schlaf saubere Sachen deponiert, denn er nahm eine Jeans, eine Boxershorts und ein schwarzes T-Shirt heraus. „Warum hast du mich nicht geweckt?“
„Weil du den Schlaf gebraucht hast.“ Sie deutete auf Shep, der sich gerade von seinem Lager erhob. Ihm ging es inzwischen so gut, dass Doc Pomeroy den ersten Verband durch einen neuen, leichteren ersetzt hatte. „Dein Kumpel hier übrigens auch.“
Shep streckte sich, gähnte herzhaft und trottete humpelnd zu Austin. Der Hund wedelte mit dem Schwanz und begrüßte sein Herrchen mit einem breiten Hundegrinsen.
Austin kraulte ihn hinter den Ohren, doch als er Paige wieder ansah, bemerkte sie seine Frustration. Und ein Auflodern des legendären McKettrick-Temperaments.
„Hast du etwa meine Pillendosis verdoppelt oder so?“, fragte er misstrauisch.
Diese Frage brachte Paige auf die Palme. Sie erhob sich langsam aus dem Schaukelstuhl, aber nur, weil sie den Hund nicht erschrecken wollte.
„Diese Frage habe ich einfach nicht gehört“, erklärte sie in drohendem Ton.
Er schüttelte die Jeans aus und suchte ein Paar Socken aus der Kommode. Vielleicht glaubte er, es gehe ihm schon vielbesser. Vielleicht dachte er, er müsste nur duschen und sich anziehen, um anschließend wieder über die Weiden zu reiten, als wären sein Rücken und die angeschossene Schulter wie durch ein Wunder geheilt.
Mit einem Murren rieb Austin sich das stoppelige Kinn und ging ohne ein weiteres Wort ins Badezimmer.
Als er weg war, machte Paige sich daran, sein Bett abzuziehen. Sie tat es mit einer solchen Heftigkeit, dass Shep stehen blieb, anstatt seinem Herrchen zu folgen, wie er
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