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Die Mechanik des Herzens: Roman (German Edition)

Die Mechanik des Herzens: Roman (German Edition)

Titel: Die Mechanik des Herzens: Roman (German Edition)
Autoren: Mathias Malzieu
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würden, dann wie Joe: äußerst selten und so, dass es einem kalt den Rücken runterläuft.
    »Ich gehe, aber eines sage ich dir gleich: Ich komme wieder. Du magst den Kampf um die Geisterbahn gewonnen haben, aber ich bin immer noch der Herzbube von Du-weißt-schon-Wem!«
    Die Menge beginnt uns anzufeuern wie zwei kämpfende Hähne.
    »Du hast es also noch nicht gemerkt?«
    »Was?«
    »Findest du nicht, dass sich Miss Acacia dir gegenüber in letzter Zeit merkwürdig verhält?«
    »Lass uns das unter vier Augen klären, Joe. Nenn keine Namen!«
    »Gestern habe ich gehört, wie ihr euch gestritten habt …«
    »Natürlich! Du erzählst ja auch dreckige Lügen über mich!«
    »Ich habe ihr nur erzählt, dass du mir ein Auge ausgestochen hast, und zwar grundlos. Ich wüsste nicht, was daran gelogen sein sollte!«
    Ein Großteil der Leute, die vor der Geisterbahn Schlange stehen, ist für Joe, eine Minderheit hat sich auf meine Seite geschlagen.
    »Das ist kein faires Duell! Du hast mich reingelegt!«
    »Und du biegst dir die Wahrheit zurecht und lebst in einer Traumwelt. Deine poetischen Spinnereien sind nichts als Lügenmärchen und Hirngespinste. Wie dem auch sei … Hast du Miss Acacia heute schon gesehen?«
    »Nein, noch nicht.«
    »Ich habe deine Arbeit und dein Zimmer, und du hast alles verloren. Und auch sie hast du längst verloren, little Jack ! Kurz nach eurem gestrigen Streit klopfte Miss Acacia an meine Tür. Nachdem du ihr eine Szene gemacht hattest, brauchte sie jemanden, der sie tröstet. Ich habe mit ihr nicht über irgendwelchen Uhrenunsinn geredet, sondern über die wirklich wichtigen Dinge im Leben. Dinge, die jeden beschäftigen. Ob sie in der Stadt oder auf dem Land leben will, in was für einem Haus sie gern wohnen würde, ob sie sich Kinder wünscht …«
    Stechende Zweifel. Alles in mir zittert, meine Knochen klappern, meine Zähne schlagen aufeinander.
    »Wir haben uns auch über den Tag unterhalten, als ich sie aus dem zugefrorenen Fluss gezogen und ihr das Leben gerettet habe. Sie hat sich in meine Arme geschmiegt, so wie früher, genau wie früher.«
    »Du Mistkerl! Ich werd dir auch noch das zweite Auge ausstechen!«
    »Und dann haben wir uns geküsst. So wie früher, genau wie früher.«
    Schwindel erfasst mich, mir wird schwarz vor Augen. Wie aus weiter Ferne höre ich Brigitte Heim den Leuten vor der Geisterbahn zurufen, die Fahrt gehe gleich los. Ich drohe an meinem Herzen zu ersticken, ich muss aussehen wie eine Kröte mit aufgeblähten Backen, die jeden Moment zu explodieren droht.
    Bevor er verschwindet, um seine Show abzuziehen, ruft Joe mir noch höhnisch zu: »Sie hat sich von dir abgewendet, und du hast es nicht mal gemerkt. Ich hielt dich für einen gefährlicheren Gegner. Du hast sie wirklich nicht verdient.«
    Ich stürze mich auf ihn, die Uhrzeiger im Anschlag. Ich bin ein schmalbrüstiger Stier mit Hörnern aus Papier, und er ist der stolze Torero, der mir den Todesstoß versetzen wird. Mit der rechten Hand packt er mich am Kragen und schleudert mich in den Staub. Es kostet ihn nicht die geringste Anstrengung.
    Dann verschwindet er in der Geisterbahn, seine Fans im Schlepptau. Ich liege noch eine ganze Weile da, den linken Arm auf dem Rollbrett, unfähig, mich zu rühren.
    Irgendwie schleppe ich mich zurück in Méliès’ Werkstatt. Für den Weg brauche ich eine halbe Ewigkeit. Jedes Weiterspringen meines Minutenzeigers fühlt sich an, als bohre sich mir ein Messer zwischen die Rippen.
    Es schlägt Mitternacht auf der Uhr meines Herzens. Ich warte auf Miss Acacia und starre den Pappmond an, den mein liebestoller Magier für seine Dulzinea gebastelt hat. Zehn Minuten nach Mitternacht, fünf vor halb eins, zwanzig vor eins. Niemand. Das Uhrwerk meines Herzens läuft heiß, es riecht verkohlt. Die Seeigelsuppe ist endgültig ungenießbar. Die vielen Zweifel haben sie verdorben, dabei habe ich mich so sehr bemüht, Miss Acacia zu vertrauen.
    Méliès kommt aus seinem Schlafzimmer, gefolgt von kichernden Brüsten und Hintern. Obwohl im Sinnesrausch, sieht er sofort, dass es mir nicht gut geht. Mit nachsichtigem Blick bedeutet er seinen Señoritas, leise zu sein, damit mich ihre Ausgelassenheit nicht noch mehr runterzieht.
    Miss Acacia ist nicht gekommen.

12
    m nächsten Tag singt Miss Acacia in einem Varieté in Marbella, einem etwa hundert Kilometer von Granada entfernten Badeort.
    »Eine gute Gelegenheit, sie wiederzusehen, ohne dass Joe in der Nähe ist«, versucht Méliès
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