Die Medica von Bologna / Roman
lief geschäftig zwischen mir und der Küche hin und her und beruhigte mich allein schon durch ihre Anwesenheit.
Als sie alles getan hatte, was zu tun war, sprach sie noch ein Bittgebet an meinem Bett und empfahl sich dann. »Ich muss jetzt gehen, Carla, die Mutter Oberin fragt sich bestimmt schon, wo ich bleibe. Ich werde ihr sagen, dass du fieberst und einige Tage das Bett hüten musst. Ich werde wieder nach dir sehen. Gott befohlen.«
»Gott befohlen«, erwiderte ich, bevor sie mir die Stirn küsste und mit energischen Schritten verschwand.
Es dauerte sieben Tage, bis ich so weit genesen war, dass ich meinen Dienst im Hospital wieder aufnehmen konnte. Gleich am Morgen rief mich Mutter Florienca, die Oberin, zu sich. »Ich freue mich, dass es dir bessergeht«, sagte sie zur Begrüßung. Wie immer saß sie klein und unscheinbar hinter ihrem Schreibtisch und musterte mich aus klugen Augen, während ihre Hand sacht über die Madonnenfigur mit dem Jesuskind strich.
»Danke, Ehrwürdige Mutter.«
»Die Krankheit steht dir noch immer ins Gesicht geschrieben, oder ist es … der Kummer?«
Ich fragte mich, wie viel die hellsichtige Oberin von mir und Gaspare wusste, denn man hatte uns außer bei der Theriak-Zubereitung ein paarmal in der Öffentlichkeit gesehen. Rasch überdachte ich, wer von unserem Liebesverhältnis etwas wissen konnte, doch außer Adelmo und vielleicht Signora Tagliacozzi fiel mir niemand ein, und bei beiden war ich mir sicher, dass sie – allein schon Gaspares wegen – nicht geplaudert hatten. Die Frage der Mutter Oberin musste eher allgemeiner Natur sein. »Es geht mir gut, Ehrwürdige Mutter.«
»Wenn ich eben deinen Kummer ansprach, Carla, dachte ich dabei auch an dein schlechtes Gewissen.«
Sie wusste es also doch! Ich schlug die Augen nieder und erwartete das Schlimmste, doch die Mutter Oberin fuhr fort: »Mir ist zu Ohren gekommen, dass du Doktor Tagliacozzi öfter in seinem Haus bei Operationen assistiert hast. Nun, das ist eine segensreiche Tätigkeit und geht uns nichts an, zumal der Doktor einen untadeligen Ruf genießt. Bedenklicher ist allerdings, dass er dich einige Male in der Öffentlichkeit mit ›Schwester Carla‹ vorgestellt hat, was er zweifellos im guten Glauben tat. Dein Versäumnis, Carla, ist es, den Doktor nicht über deinen wahren Rang aufgeklärt zu haben. Du warst eitel und hoffärtig. Du hättest ihm sagen müssen, dass du nur eine Hilfsschwester bist.«
»Ja, Ehrwürdige Mutter«, sagte ich und versuchte, mir meine grenzenlose Erleichterung nicht anmerken zu lassen.
»Dann bete zur Buße drei Ave Maria und nimm danach deine Arbeit wieder auf. Melde dich bei Schwester Marta. Sie weiß, was am dringlichsten zu tun ist.«
Ich verbeugte mich und eilte hinaus.
Der Dienst im Hospital half mir über die folgende Zeit hinweg. Ich stürzte mich in Arbeit und Gebet und verbrachte täglich viel mehr Stunden im Klosterhospital, als von mir erwartet wurde. Ich ging sogar so weit, dass ich dem Psalmwort
Siebenmal am Tag singe ich Dein Lob, und nachts stehe ich auf, Dich zu preisen
Genüge tat, indem ich mit den anderen Schwestern die Stundengebete verrichtete. Laudes, Prim, Terz, Sext, Non, Vesper und Komplet in ihrem vierundzwanzigstündigen Gleichklang lenkten mich ab und gaben mir Kraft. Sie halfen mir, nicht an Gaspare zu denken, der mich so sehr enttäuscht hatte und der es nicht wert war, jemals wieder in mein Leben zu treten.
In der wenigen Zeit, die mir blieb, vervollständigte ich meine Aufzeichnungen über die von mir durchgeführten Operationen, schilderte meine Erfahrungen, erwähnte Schwierigkeiten und stellte Überlegungen für Verbesserungen an.
Und wieder begann ich zu lesen. Ich beschäftigte mich mit den Prinzipien der Pathologie und mit den Heilmethoden der verschiedensten Krankheiten. Ich las die Texte aller Autoren, derer ich habhaft werden konnte, studierte das
Regimen
von Maimonides, repetierte den
Kanon
von Avicenna und die
Aphorismen
des Hippokrates, vertiefte mich in die Werke von Averroës, einem spanisch-arabischen Philosophen und Arzt, der auch unter dem Namen Ibn Rušd bekannt ist, las
Colligiet
und
De Medicinis Simplicibus
und befasste mich mit seinen Kommentaren zu den Werken des Aristoteles.
Daraufhin beschäftigte ich mich mit Aristoteles’ Überlegungen zu Logik, Wissenschaft, Rhetorik und Naturlehre und erfuhr Erstaunliches. So lernte ich seine These kennen, nach der kristalline Sphären die Planeten auf ihren Bahnen
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