Die Medica von Bologna / Roman
hundert Libbre im Jahr könntest du nicht leben.«
»Erinnere mich nicht ständig an meine Armut.«
»Wenn du nicht selber daran denkst! Vergiss nicht, dass du noch kein ordentlicher Professor bist wie Giulio Cesare Aranzio und andere, die Hunderte von Libbre verdienen. Immer wieder habe ich dich finanziell unterstützt, zuletzt im August vor über einem Jahr, als das Kind von Isabella de’ Sementi und dir geboren wurde. Es hat mich eine gehörige Summe gekostet, die Affäre zu vertuschen. Ohne meine Hilfe hättest du eine Frau heiraten müssen, deren Mitgift dem Besitz einer Kirchenmaus gleichgekommen wäre.«
»Mamma, bitte, lass doch die alten Geschichten …«
»Ich bin noch nicht fertig. Begreife endlich, dass ich nur dein Bestes will. Wenn es mir gutgeht, geht es auch dir gut. Ich kann dieses Haus zu einem hervorragenden Preis verkaufen, und ich brauche das Geld, um damit das neue Haus zu bezahlen. Im Übrigen weiß ich, dass es auch Giulia sehr gefällt.«
Giulia?, fragte ich mich. Das Gespräch nahm immer rätselhaftere Formen an. Gaspare hatte mir gegenüber nie von Liebschaften gesprochen, und ich hatte ihn auch niemals danach gefragt. Vielleicht, weil ich Angst hatte, im Nachhinein eifersüchtig zu werden, was natürlich lächerlich war. So gesehen mochte es nicht weiter schlimm sein, dass er vor unserer Liebe offenbar Vater eines Kindes geworden war, welches er mit einer gewissen Isabella gezeugt hatte.
Aber wer war Giulia? Ich sollte mit meiner Frage nicht lange allein gelassen werden, denn schon redete Signora Tagliacozzi weiter.
»Es ist jetzt fast einen Monat her, dass du sie geheiratet hast, und ich finde, es wird höchste Zeit, dass ihr beide Euer neues Domizil bezieht …«
Was ich soeben gehört hatte, konnte ich kaum glauben. Ich hatte das Gefühl, jemand zöge mir den Boden unter den Füßen fort. Ich taumelte und suchte Halt an der Wand.
»Ich weiß gar nicht, worauf du noch wartest. Sie hat eine stattliche Mitgift in die Ehe eingebracht, davon habe ich mich zuvor mehrmals überzeugt, und du liebst sie, das hast du mir selber gesagt …«
Ich konnte nicht mehr an mich halten. Ich stolperte in die Bibliothek, wo ich Signora Tagliacozzi in einem roten Kleid erblickte. Ich wollte etwas sagen, aber kein Wort drang über meine Lippen. Dafür hörte ich die Signora mit ihrer harten Stimme wie von ferne auf Gaspare einreden, und jedes ihrer Worte war für mich wie ein Hammerschlag: »Ihr beide seid füreinander geschaffen, nicht nur ich denke so, sondern auch Giulias Eltern. Giuliano Carnali und seine Verwandten gehören zu den angesehensten Familien Bolognas. Geld, Grundbesitz und Glück sind hier in segensreicher Verbindung zusammengekommen. Du liebst Giulia doch?«
»Ja, sicher, Mamma, ich …«
Den Rest von Gaspares Rede hörte ich nicht mehr, denn das rote Kleid von Signora Tagliacozzi änderte sich plötzlich in seiner Form, es wurde groß und größer, verwandelte sich in eine rote Wolke, breitete sich im ganzen Raum aus und flog rauschend auf mich zu.
Ich schrie auf und riss die Hände hoch, um mich des Angriffs zu erwehren, aber es war vergebens. Ich war machtlos.
Die Wolke traf mich und warf mich um.
Ich fiel in tiefe Bewusstlosigkeit.
Die Briefe
Le letteri
ch wachte auf und blickte in Gaspares Gesicht. Er schaute ernst auf mich herab, keine Spur von seinem amüsierten Lächeln war zu sehen. Über seinem Kopf sah ich die verblassten Fresken an der Decke meines Hauses, Adam, Eva, die Schlange und den Apfel. Das verstand ich nicht. Bis mir klarwurde, dass ich in meinem Bett lag und Gaspare sich über mich beugte.
Dann kam die Erinnerung zurück.
»
Grazie a Dio!
Du bist wach«, sagte er.
Ich fühlte, wie ich innerlich erstarrte, und drehte den Kopf zur Seite, um ihn nicht sehen zu müssen.
»Ich habe mir große Sorgen um dich gemacht.«
Ja, dachte ich bitter, während du in Gedanken bei deiner Giulia warst, die du hinter meinem Rücken geheiratet hast und mit der du die Ehe vollzogen hast, ohne dass ich es wusste, mit der du was weiß ich alles gemacht hast, während du so tatest, als liebtest du mich, und mich dein Bleiweißmädchen nanntest.
»Bleiweißmädchen, ich weiß nicht, was du von dem Gespräch mitbekommen hast …«
Ich schwieg. Ich wollte nicht mit ihm reden. Ich wünschte mir nichts sehnlicher, als dass er ginge, und gleichzeitig wollte ich, dass er bliebe, denn ich spürte: Wenn er mich verließe, wäre es für immer.
»Also doch, du hast alles
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