Die Medica von Bologna / Roman
und das Elend, das wir dort sahen, ließ uns die Einladung des Dogen vergessen.
Am Sonntag, dem 25. Februar 1676, ließen Maurizio und ich uns in unseren besten Kleidern über den Canal Grande rudern. Meine Befürchtungen, wir könnten zu diesem Zweck keine Gondel bekommen, hatte mein väterlicher Freund lachend zerstreut: »Höre, Carla, wenn der Doge etwas befiehlt, kommt das einem Gottesgebot gleich. Nur die Anordnungen des Papstes oder die der höchsten Kaiser und Könige haben ähnliches Gewicht.«
Es war ein schöner Tag, kleine, gluckernde Wellen umspielten die Gondel, und ein frischer Wind vom Meer reinigte den Körper und die Seele. So kam es, dass wir mit erwartungsfrohen Gedanken am Anleger des Markusplatzes festmachten und zum Palast des Dogen hinübergingen. Wir durchquerten den Innenhof, jene Stätte, wo seit Urzeiten das prachtvolle Zeremoniell der Dogenkrönung stattfindet, erklommen die
Scala dei Giganti
genannte Treppe zu den Innenräumen, passierten die beiden kolossalen Skulpturen des Merkur und des Neptun als Verkörperung von Macht und Reichtum der
Serenissima,
wurden von einer Wache gegrüßt und durch mehrere große Räume geleitet.
Jeder einzelne dieser Säle war mit ungeheurem Prunk ausgestattet. Feuriges Rot, sattes Grün und intensives Blau unter üppigen Goldornamenten verwöhnten und verwirrten das Auge. Teppiche von beispielloser Schönheit grüßten von den Wänden. Bilderrahmen unter den Decken fassten die Kunstwerke der berühmtesten Maler Italiens ein, allesamt Motive zeigend, die einzig und allein der Glorifizierung Venedigs dienten.
Schließlich endete unser Weg vor der Tür des Kartenraums, wo die Wache nochmals grüßte und uns mit einer einladenden Geste aufforderte hineinzugehen.
Drinnen wartete eine Überraschung auf uns, denn wir waren keineswegs die einzigen Gäste. Elf Herren saßen in ihren prächtigsten Kleidern da, hüstelten, scharrten mit den Füßen und unterhielten sich leise. Sie schienen auf den Dogen zu warten. Auch uns wurde ein Platz zugeteilt, nachdem Maurizio seine Einladung vorgewiesen hatte. Wir setzten uns, und Maurizio flüsterte mir zu: »Es sind Kollegen. Ein erlauchter Teil der Ärzteschaft Venedigs ist hier versammelt.«
»Was hat das zu bedeuten?«, wisperte ich.
»Ich weiß es nicht. Aber wir werden es gleich erfahren. Da kommt der Doge.«
Ein streng aussehender Herr in purpurfarbenem Umhang mit Hermelinkragen und auffallend großen goldenen Knöpfen betrat gemessenen Schrittes durch eine Seitentür den Raum. Auf dem Kopf trug er als Zeichen seiner Würde den Corno, eine steife Kappe mit einer nach hinten ragenden, hornartigen Spitze, darunter eine Mütze aus feinem weißem Leinen, die bis über seine Ohren reichte. Ich hatte einen so seltsamen Aufzug noch nie gesehen und starrte den Dogen unverwandt an.
Ein kleiner Stoß von Maurizio erinnerte mich an die gebotene Schicklichkeit. Ich wandte meinen Blick von dem Dogen ab und betrachtete sechs in schlichtes Schwarz gekleidete Bedienstete. Ihr Gesichtsausdruck war feierlich, ihre Haltung steif, jeder von ihnen hielt zwei dunkelblaue Brokatkissen in den Händen.
Messer Alvise Mocenigo I., der hochzuverehrende 85. Doge der
Serenissima Repubblica di San Marco,
Vornehmster der Vornehmen und Sieger der Seeschlacht von Lepanto, ging zur Stirnseite des Raums, wo er auf einem goldenen Stuhl vor einer wandfüllenden Seekarte Platz nahm. Seine Augen wanderten über die Sitzreihen, er schien zufrieden mit dem, was er sah. Er nickte den an den Türen stehenden Dienern zu, sie zu schließen, und räusperte sich.
»Buongiorno, professores e dottores«,
sagte er. »Ich freue mich, dass Ihr meiner Einladung gefolgt seid. Da Ihr alle darüber informiert wurdet, was der Anlass für diese Versammlung ist, will ich mir lange Vorreden ersparen.«
Ich blickte Maurizio fragend an, aber der zuckte mit den Schultern. Offenbar hatte er nur die Einladung bekommen, keine weiteren Erklärungen.
»Venedig, unsere geliebte
Serenissima,
hat die schwersten Stunden seit der alles vernichtenden Pest von anno 1348 zu erdulden. Wie damals, als die Seuche, vom Schwarzen Meer im Osten kommend, über uns herfiel, sind Tausende von Toten zu beklagen. Die Lebensadern unserer Stadt drohen zu versiegen, kein Schiff darf mehr hinausfahren, keines mehr unseren Hafen anlaufen. Die Landwege sind versperrt, keine Nahrung erreicht uns mehr. Das Wenige, was wir noch haben, sind die dürftigen Vorräte in den Speichern und das
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