Die Medica von Bologna / Roman
kalt, und ich merkte, wie die Berührung meine Sinne auf unerklärliche Weise beruhigte und inspirierte. Ich konnte nicht anders, ich nahm Hut, Maske und Brille ab und setzte sie auf. Sie schmiegte sich an mein Gesicht, als gehöre sie dorthin. »Sie ist wunderbar«, flüsterte ich. »Es ist, als sei sie extra für mich gemacht.«
Doch dann war der Augenblick der Verzauberung vorbei. Betrübt nahm ich sie ab und legte sie zurück, denn sie gehörte nicht mir. Stattdessen zwängte ich mich wieder in das Leder des Pestarztes und verließ das Geschäft.
Den ganzen Tag musste ich an sie denken, auch abends noch, als ich Maurizio wiedersah. Aus seinen Augen war die Müdigkeit verschwunden, er wirkte ausgeschlafen und erholt. »Ich bin wieder ganz der Alte«, sagte er munter. »Was ein bisschen Ruhe doch ausmacht!«
»Ja, du siehst viel besser aus.«
»Ich kann wieder Bäume ausreißen.«
»Bitte übertreib nicht. Du solltest dich noch ein paar Tage schonen.«
»Kommt nicht in Frage. Operieren wir heute Abend nicht? Du hast mir überhaupt keine Kranken ins Haus schicken lassen.«
»Es hat sich nicht ergeben.« Ich begann die Lederkleidung abzulegen und stellte Stock und Arzttasche beiseite. Am Nachmittag hatte ich auf offener Straße zwei Kranke operiert. Ich hatte es in der Anonymität meiner Pestmaske getan und ihnen die Bubonen aufgeschnitten. Es war ein letzter und vergeblicher Versuch gewesen, ihre Lebensgeister zu erhalten. Dass ich sie wegen Maurizios Zustand nicht in sein Haus hatte schaffen lassen, musste er nicht unbedingt wissen.
»Dann lass uns zu Abend essen. Ein Freund aus Parma hat mir Schinken geschickt. Ein Wunder, dass die Köstlichkeit angekommen ist. Daniele wird sie gleich servieren.«
»Iss lieber nicht zu viel davon, und nimm auch von dem Gemüse und den Oliven«, sagte ich, als Daniele uns wenig später die aromatischen Scheiben auf einem Zinnteller servierte. »Das belastet den Magen sonst zu sehr.«
»Du redest fast schon wie meine Frau.«
»Ach, Unsinn.« Zufrieden registrierte ich, dass er zum ersten Mal unbefangen seine Frau erwähnt hatte. Er machte Fortschritte.
»Was hast du erlebt, gab es wieder so viele Tote?«
»Ja«, sagte ich wahrheitsgemäß. »Es werden, so scheint es, noch immer täglich mehr.«
Dann wechselte ich das Thema, um ihn auf andere Gedanken zu bringen, und berichtete von der Manufaktur
La maschera
und der Venusmaske.
»Masken sind Ausdruck der Seele und der Gefühle«, sagte er. »Eine Venusmaske würde gut zu dir passen, denn auch du strahlst Schönheit aus.«
»Unsinn«, sagte ich abermals und versuchte, mir meine Freude über das Kompliment nicht anmerken zu lassen. »Ich habe sie wieder an ihren Platz gelegt. Sie gehörte mir nicht, und ich mochte sie nicht einfach mitnehmen.«
»Das verstehe ich. Vielleicht hättest du es trotzdem tun sollen.«
»Nun ist es zu spät.«
Wir plauderten noch eine Weile und begaben uns zum ersten Mal seit Tagen früh zur Ruhe.
Am anderen Morgen versuchte ich vergeblich, Maurizio davon abzuhalten, mich auf die Straße zu begleiten. »Ich bin wieder gesund«, sagte er. »Glaub mir, ich habe meinen ganzen Körper nach Anzeichen der Seuche abgesucht, aber nichts gefunden.«
Ich wollte antworten, er solle trotzdem zu Hause bleiben, aber ich kam nicht dazu, denn Daniele erschien und meldete: »Verzeiht, Signorina Carla, da steht ein Fettkloß vor der Tür, der zu Euch möchte.«
Maurizio fragte: »Was für ein Fettkloß?«
Daniele hob hilflos die Hände. »Er sagt, er heißt Latif, und er möchte unbedingt zu der Pestärztin.«
»Hol ihn herein«, sagte Maurizio, bevor ich Einwände erheben konnte.
Es war tatsächlich Latif, der Eunuch, der den Weg zu Maurizios Haus gefunden hatte. Wie er so vor uns stand, ungeschlacht und die Tür fast ausfüllend, sah ich erst, mit welchem Riesen ich es gestern zu tun gehabt hatte.
»Ich grüße Euch, Herrin, und auch Euch, Dottore«, sagte er mit seiner hellen Stimme.
»Herrin?«, fragte Maurizio verwundert. »Sagtest du ›Herrin‹ zu Signorina Carla?«
»Er möchte mein Diener sein«, erklärte ich.
»Dein Diener?«
»Ja, aber ich brauche keinen. Außerdem kann ich mir so etwas nicht leisten, das habe ich ihm …«
»Halt, nicht so schnell.« Maurizios Miene wurde nachdenklich. Er legte die Fingerspitzen aneinander, überlegte eine Weile und sagte dann: »Ein Diener ist nicht das Schlechteste für eine alleinstehende junge Frau. Höre, Latif: Das Wort Diener kommt von
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