Die Medica von Bologna / Roman
Meeresgetier in der Lagune. Mit jedem Tag, den Gott werden lässt, fällt es uns schwerer, zu widerstehen.«
Er redete noch eine Weile so weiter und beschrieb die hoffnungslose Lage der Stadt, die wir alle nur zu gut kannten. Schließlich, als schon der eine oder andere Zuhörer zu ermüden begann, wurde seine Stimme wieder lauter, und er sagte: »Aber auch diesmal wird es eine Zeit nach der Seuche geben, und auch diesmal wird unsere
Serenissima
ihren Namen früher oder später wieder zu Recht tragen. Bis es so weit ist, mögen noch Wochen oder Monate vergehen, aber unser Venedig ist stark. Die
Serenissima
ist die Königin der Meere, denn sie ist ein Schiff aus Tapferkeit und Ausdauer, unsinkbar seit über tausend Jahren.«
Er machte eine Pause und redete weiter: »Dass Venedig unsinkbar ist, verdanken wir alle auch Euch, den Medici der Stadt, die täglich um das Überleben unserer Bürger kämpfen. Männer wie Euch gilt es zu ehren, um ein Zeichen zu setzen, auf dass der Mut und der Wille, zu bestehen, uns alle nicht verlasse. Der Rat der Zehn und ich haben deshalb im Beisein des
Avogado di comun
beschlossen, Euch eine Dankesmedaille und eine Urkunde zu überreichen. Das soll nun geschehen.«
Abermals öffnete sich die Seitentür, diesmal, um einige der Nobelsten des venezianischen Adels einzulassen. Es waren samt und sonders Männer, deren Familienname untrennbar mit dem Glanz der Stadt verbunden war. Nacheinander nahmen sie jeweils eine der Medaillen auf, übergaben sie dem Dogen, woraufhin dieser den Namen des zu Ehrenden aufrief und ihm anschließend die Auszeichnung um den Hals hängte. Nachdem der Geehrte die Medaille empfangen hatte, nahm er die Urkunde entgegen und setzte sich wieder auf seinen Platz.
Maurizio wurde als einer der Letzten aufgerufen, ging nach vorn und empfing seine Würdigung. Danach setzte er sich wieder zu mir, ein Lächeln im Gesicht, und flüsterte: »Der Doge bat mich während der wenigen Worte, die er mit mir wechselte, ich möge nach der Feierlichkeit noch einen Moment bleiben – zusammen mit meiner Begleiterin.«
»Was hat das zu bedeuten?«
»Ich weiß es nicht.«
Wir mussten noch einige Zeit warten, denn nach der Vergabe der Medaillen ließ der Doge es sich nicht nehmen, mit den Doktoren noch ein wenig zu plaudern, ihnen alles Gute zu wünschen, vor allem natürlich Gesundheit und Widerstandskraft gegen die Seuche.
Endlich war auch das letzte Wort gesagt, und Maurizio und ich gingen zum Dogen, der noch immer auf seinem goldenen Stuhl saß und uns huldvoll heranwinkte. »Dottore«, sagte er, »wie Ihr vielleicht schon gelesen habt, trägt Eure Medaille die Aufschrift
Fortitudine et Constantia pro Venetia, Anno 1576,
doch wie mir zu Ohren kam, habt nicht nur Ihr in diesen Tagen Tapferkeit und Ausdauer für Venedig bewiesen, Eure Assistentin hat sich auf die gleiche Weise hervorgetan.« Er wandte sich direkt an mich und fragte mit ernster Feierlichkeit: »Wie ist Euer Name, Signorina?«
»Carla Maria Castagnolo, Eure Exzellenz«, antwortete ich mit klopfendem Herzen. Ich trug nur eines der einfachen Kleider, die ich auf die Reise nach Venedig mitgenommen hatte, und schämte mich in diesem wichtigen Augenblick dafür.
»Signorina Carla, vielleicht wundert Ihr Euch, dass ich zwar um Eure Verdienste weiß, nicht aber Euren Namen kannte. Nun, seid versichert, unter normalen Umständen würde ich alles über Euch wissen, aber die Zeiten sind nicht danach. Immerhin drang über das gemeine Volk bis zu mir die Kunde von Eurem unermüdlichen Einsatz an der Seite unseres berühmten Doktor Sangio. Ich bedauere, Euch keine Medaille geben zu können, aber ich darf es nicht. Ihr seid eine tüchtige Chirurgin, aber kein Arzt. Und Ihr seid eine Frau. Doch Venedig möchte sich erkenntlich zeigen, nehmt deshalb diesen Beutel mit hundert Scudi d’Oro an Euch – zehn Scudi für jeden Finger Eurer segensreichen Hände.«
Er nahm einen ledernen Beutel von einem der Bediensteten entgegen und gab ihn mir. »Es ist nur Geld, aber Geld kann viel bewegen, gerade in der heutigen Zeit. Venedig weiß seine Freunde zu schätzen, Signorina Carla.«
»Danke, Eure Exzellenz«, hauchte ich.
»Kann ich sonst noch etwas für Euch tun?«
»Nein«, sagte ich.
»Vielleicht doch«, meldete sich Maurizio hinter mir. »Verzeiht, Exzellenz, wenn ich mich einmische, aber Signorina Carla will in den nächsten Tagen zurück in ihre Vaterstadt Bologna reisen. Sie braucht eine Sondererlaubnis, um Venedig
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