Die Medica von Bologna / Roman
jetzt gehen. Wenn du jetzt nicht gehst, wirst du niemals gehen.«
»Ja, Maurizio«, sagte ich, »das glaube ich auch.«
»Komm her.« Er stand auf und umarmte mich. »Es mag seltsam klingen, aber es war eine glückliche Zeit mit dir. In dir ist meine Tochter wieder auferstanden, jedenfalls für eine kurze Zeit. Du hast mir mein Gleichgewicht wiedergegeben. Dafür bin ich dir unendlich dankbar.«
Ich schwieg, denn Tränen traten mir in die Augen.
»Pass auf dich auf, ich möchte nicht noch einmal einen lieben Menschen verlieren.«
»Das verspreche ich, Maurizio.«
»Dann ist es gut.« Mit einer raschen Bewegung küsste er mich auf den Mund. »Leb wohl, Carla, lass von dir hören, wenn du Bologna heil erreicht hast. Leb wohl.«
»Leb wohl, Maurizio.«
Wir lösten uns scheu voneinander und gingen wieder hinaus zu den anderen, jeder in seine eigenen Gedanken vertieft.
Draußen wünschten Daniele und Mirjam mir eine gute Reise, während Latif schon das Maultier erklommen hatte.
»Danke«, sagte ich, »Gottes Segen über euch, und möge die Seuche euch verschonen.«
»Ebenso wie Euch, Signorina Carla.«
»Komm, Latif, es geht los.«
»Endlich, Herrin, endlich!«
Die Erde
La terra
ch brauchte nicht mehr als vier Tage, um nach Bologna zu gelangen. So beschwerlich meine Hinreise nach Venedig gewesen war, so glatt verlief der Weg zurück. Latif erwies sich während der ganzen Zeit als ein lebhafter, wenn auch manchmal etwas vorwitziger Begleiter, der seine Pflichten als Diener alles in allem sehr ernst nahm.
Nachdem wir am ersten Tag dank des Passierscheins von Alvise Mocenigo I. ohne Probleme aus Venedig hinausgekommen waren, sagte er zu mir: »Jetzt ist das Schlimmste überstanden, Herrin, die Pesthöhle liegt hinter uns. Lasst uns von nun an jeden Tag genießen.« Er streckte seinen massigen Leib, gab seinem Maultier einen aufmunternden Klaps und blickte vergnügt aus seinen schwarzen Kulleraugen. Die Leichen, die am Wegrand lagen, schien er nicht wahrzunehmen. »Warum nehmt Ihr nicht den Schleier ab, Herrin? Ich habe Euer Gesicht noch niemals richtig gesehen.«
Ich antwortete nicht.
»Herrin?«
»Ich zeige mein Gesicht nicht gern.«
»Aber warum denn nicht? Das Gesicht spiegelt die Seele wider, und Ihr habt eine gute Seele, das habe ich gleich gemerkt, obwohl Ihr bei unserer ersten Begegnung die grässliche Pestmaske trugt.«
Ich seufzte. Angesichts der Tatsache, dass ich mein Leben von nun an mit ihm verbringen würde, war es wohl nur eine Frage der Zeit, bis er mein Feuermal entdeckte. Da konnte ich es ihm auch gleich zeigen.
Ich nahm das Barett mit dem Schleier ab und blickte ihn an.
»Bei Allah, Ihr habt ein, äh, ungewöhnliches Gesicht, Herrin!«
»So kann man es auch nennen.«
»Oh, versteht mich nicht falsch. Ich finde es hübsch, es hat eine Rubinseite und eine Kristallseite. Nicht jede Frau trägt eine solche Zier.«
Da ich ihn noch nicht gut kannte, hielt ich es für möglich, dass er mir nur schmeicheln wollte, auch wenn ich den Vergleich mit den Edelsteinen sehr fantasievoll fand. Ich setzte mein Barett wieder auf und sagte: »Ich bin mit dem Feuermal geboren. Du aber bist sicher nicht mit einer verstümmelten Nase auf die Welt gekommen. Wie ist das geschehen?«
»Im Topkapı-Palast geschieht viel, Herrin, und nichts davon dringt an die Außenwelt.«
»Was ist das für ein Palast?«
»Der Sitz des Sultans in Konstantinopel. Er wird Yeni Sarayı genannt. Die Anlage ist eine eigene Stadt für sich, sein Herz ist der Harem. Hunderte von Frauen leben dort.«
»Erzähl mir mehr davon.«
»Gern, Herrin, aber nicht jetzt. Bitte, entschuldigt mich.« Latif hielt sein Maultier an und glitt ächzend aus dem Sattel. Dann prüfte er den Stand der Sonne und verschwand hinter einem kleinen Hügel. Ich starrte ihm verwundert nach und hörte plötzlich einen seltsamen, kehligen Singsang:
»Allah akbar … ashadu annaha lahilaha illa’llah … lahila il Allah Mohammad ressul Allah … anna … illa’llah …«
Ich konnte mir keinen Reim darauf machen und fragte Latif nach seinem seltsamen Gebaren, nachdem er zu mir zurückgekehrt war.
»Ich habe gebetet, Herrin. Ich bin muslimischen Glaubens und deshalb angehalten, Allah, den Erbarmer, den Barmherzigen, fünfmal am Tag anzurufen und zu preisen.«
»Das wusste ich nicht.«
»Nun wisst Ihr es. Betet Ihr nicht regelmäßig?«
»Doch, meistens schon.« Ich dachte an die Stundengebete der frommen Schwestern von San Lorenzo und daran, dass
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