Die Medica von Bologna / Roman
die Mode, die Preise und den neuesten Klatsch und tat die ganze Zeit über so, als wäre niemals ein Misston zwischen uns aufgetreten. »Die Operation«, sagte er ernst, »ist kein vorgeschobener Grund, um dich sehen zu können. Ich brauche dich tatsächlich.«
»Worum geht es?«
»Es geht um ein Ohr.«
»Ein Ohr?«, fragte ich verständnislos.
Er grinste. »Wenn du so guckst, siehst du besonders reizend aus, das hatte ich ganz vergessen. Ja, es geht tatsächlich um ein Ohr, allerdings nicht um ein normales, sondern um ein, nun, sagen wir, hochwürdiges Hörorgan.«
Da ich ihn noch immer fragend ansah, fuhr er fort: »Genauer gesagt, handelt es sich um das fehlende Stück eines Ohrs, das ich rekonstruieren soll, und zwar bei Seiner Exzellenz, dem Generalvikar, der gleichzeitig Kanzler und höchste Instanz für alle Professoren, Doktoren und Studenten des Archiginnasios ist.«
»Was ist denn passiert?«
»Seine Hochwürdigste Exzellenz ist überfallen worden. Es war in einem Waldstück, zwei oder drei Meilen vor der Porta Mascarella, als ein paar gottlose Strauchdiebe seine Kutsche anhielten und die Eskorte mit ein paar Schüssen töteten. Sie zerrten ihn heraus und forderten Schmuck und Geld. Offenbar ist Seine Exzellenz diesem Wunsch nicht rasch genug nachgekommen, denn einer von den Halunken ergriff ihn bei den Haaren und schnitt ihm ein Ohrläppchen ab. Nachdem sie ihn ausgeraubt hatten, ließen sie ihn laufen. Unter großen Schmerzen erreichte er die Stadt, wo die Wunde sofort versorgt wurde.«
»Das ist eine schwer zu glaubende Geschichte«, wandte ich ein. »Von einem derartigen Überfall habe ich nie gehört, ganz Bologna hätte doch darüber gesprochen.«
»Der Vorfall wurde vertuscht. Seine Exzellenz ist nicht uneitel, er möchte gern als starke, unantastbare Gottesperson dastehen, und dazu passt der Verlust eines Ohrläppchens nicht. Offiziell ist er vor ein paar Tagen nach Rom gefahren, um vorübergehend die Stelle des Zweiten Päpstlichen Sekretärs zu übernehmen, inoffiziell aber befindet er sich in meinem Behandlungszimmer unterhalb der Dachterrasse. Ich würde gerne gleich mit dem Ersten Akt der
Ars reparatoria
beginnen, wenn es dir nichts ausmacht.«
»Doch, es macht mir etwas aus«, sagte ich. »Ich möchte zuerst wissen, was ich tun soll, denn bei einer solchen Operation war ich noch nie dabei. Im Übrigen frage ich mich, warum das Ganze überhaupt sein muss. Man würde das fehlende Ohrstück doch gar nicht bemerken, wenn Seine Exzellenz die Haare lang trüge.«
»Das tut er sogar. Aber wie gesagt: Er ist recht eitel und hasst einen mangelhaften Körper. Außerdem fürchtet er den Spott seiner Neider. Zu deiner Frage nach der Operation lass dir sagen, dass sie im Prinzip so abläuft wie bei einer Nasenrekonstruktion, nur dass die Haut nicht aus dem Oberarm entnommen wird, sondern aus der Region hinter dem Ohr.«
»Erkläre mir die einzelnen Schritte«, forderte ich.
Er seufzte. »Ich ahnte, dass du darauf bestehen würdest. Komm mit in das Kaminzimmer, dort will ich dir alles erklären.«
Er führte mich zu dem Raum, in dem wir früher so oft gesessen hatten, bot mir Wein an und skizzierte auf einem Blatt Papier die einzelnen Schritte der Operation. »Um ehrlich zu sein«, sagte er, »habe ich die Prozedur noch niemals eigenhändig durchgeführt, aber in der Theorie ist alles sehr einfach. Beim Herausschneiden des Hautlappens hinter dem Ohr ist nur darauf zu achten, dass die große Arterie nicht verletzt wird. Falls es mir doch passieren sollte, musst du die Blutung sofort mit einer Eiweißkompresse zum Stillstand bringen.«
»Ja«, sagte ich, »aber da ist noch etwas, das ich nicht verstehe: Wenn du die Haut heraustrennst, musst du die Fläche größer anlegen, als du hier aufgezeichnet hast, etwa doppelt so groß, damit sie später zu einem Ohrläppchen umgeklappt werden kann. Ein Ohrläppchen steht frei, es hat eine vordere und eine hintere Seite.«
Gaspare stutzte, schaute mich an und schlug sich dann mit der Hand an die Stirn. »Dass ich daran nicht gedacht habe! Da siehst du, wie wichtig es ist, dass du mir hilfst.« Er wollte mich küssen, aber ich drehte den Kopf zur Seite. Etwas ernüchtert sagte er: »Ich bin sicher, ich wäre bei der Operation noch darauf gekommen, aber so ist es natürlich besser. Je genauer ein Eingriff im Voraus geplant wird, desto sicherer der Erfolg. Aber nun komm, ich möchte die Sache hinter mich bringen.« Er wollte mich beim Arm nehmen, doch ich
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