Die Medica von Bologna / Roman
blieb sitzen. »Weiß Seine Exzellenz überhaupt, dass ich dir assistiere?«, fragte ich.
»Nein.« Gaspare lächelte schon wieder. »Das ist auch nicht nötig, weil ich ihn in Schlaf versetzen werde.«
»Wie soll das geschehen?«
»Mit der
Spongia somnifera.
«
»Ist das der Schlafschwamm, von dem man in letzter Zeit so viel hört?«
»Genau der.«
»Erzähl mir davon.«
»Carla, Carla!« Gaspare schaute mit gespielter Verzweiflung zur Decke. »Du willst immer alles ganz genau wissen, wie? Also höre: Der Schwamm, der möglichst aus dem Meer zwischen den Inseln der griechischen Kykladen stammen sollte, wird in eine Mischung aus Opiumsaft, Schierling, Maulbeersaft, Mandragora und Bilsenkraut getaucht und an einen sonnigen Platz zum Trocknen gelegt. Danach ist er einsatzbereit. Soll er verwendet werden, wird er gewässert und entwickelt dabei berauschende Dämpfe, die den Patienten in Schlaf versetzen.«
»Warum lässt man den Schwamm erst trocknen, man könnte ihn doch sofort nach dem Eintauchen verwenden?«
»Das könnte man, aber nicht immer ist genügend Zeit, die Mixtur anzusetzen, zum Beispiel bei einem Notfall. Da ist es besser, ihn vorher präpariert zu haben.«
»Das leuchtet ein.«
Gaspare blickte mich spöttisch an. »Wenn die Dame keine weiteren Fragen hat, könnten wir jetzt hinauf zu Seiner Exzellenz gehen?«
Wir gingen hinauf, und kurz vor der Tür zum Krankenzimmer bat Gaspare mich, ein paar Minuten zu warten. Wenn der Patient erst schliefe, würde er mich holen. Ich nickte, konnte jedoch nicht umhin, neugierig durch den Türschlitz zu blicken und heimlich das Geschehen zu verfolgen.
Der Generalvikar, ein ernster Mann mit bereits ergrautem Haar, saß kerzengerade im Bett, hielt die Augen geschlossen und murmelte ein Gebet. Gaspare wartete höflich, bis er fertig war, und richtete dann das Wort an ihn. Ich sah, wie Seine Exzellenz nickte und sich mit ängstlichem Gesichtsausdruck in die Kissen zurücksinken ließ. Gaspare ergriff nun den bereitliegenden feinporigen Schlafschwamm, tauchte ihn in eine Schüssel mit Wasser, drückte ihn aus und wartete eine Weile. Als die Dämpfe sich voll entwickelt hatten, hielt er ihn seinem Patienten direkt unter die Nase und hieß den Generalvikar, ein paarmal tief einzuatmen. Schon beim fünften oder sechsten Atemzug erschlaffte sein Körper. Gaspare wirkte zufrieden und drehte den Kopf mit dem verletzten Ohr zum Licht. Dann richtete er sich auf und sagte: »Komm jetzt herein, Carla, du stehst doch bestimmt hinter der Tür?«
Ich ersparte mir die Antwort, ging zu ihm und überprüfte mit geübtem Blick die vorbereiteten Instrumente. Alles lag an seinem Platz. Gaspare begann mit der Prozedur, und ich reichte ihm, jeden seiner Schritte vorausahnend, stets das richtige Werkzeug. Die Operation bestand an diesem Tag aus dem Heraustrennen des Hautlappens, der Auffrischung des verletzten Bereichs, dem Zurechtfalten und Zurechtschneiden des Lappens sowie seiner Vernähung am richtigen Ort. Als Gaspare zu diesem Zweck Nadel und Faden zur Hand nahm, sagte ich zu ihm: »Ich habe mir überlegt, wie eine besonders saubere Wundrandzusammenfügung entstehen könnte, und ich denke, mit der Rückstichtechnik dürfte das gelingen.«
»Du willst eine neue Nahttechnik anwenden? Jetzt, wo es so sehr darauf ankommt? Nein, lieber nicht.«
»Bitte, lass es mich versuchen. Du weißt, ich bin gelernte Schneiderin, ich verstehe etwas von Nähten. Die Rückstichtechnik ist besser als die bisher eingesetzte unterbrochene Naht.«
»Die
Sutura interscissa
war bisher immer gut genug, und sie wird es auch heute sein.«
»Bitte, lass mich nur ein oder zwei Stiche machen, dann wirst du sehen, dass ich recht habe.«
Gaspare gab nach, und ich zeigte ihm, was ich meinte.
»
Caspita,
das ist gut«, sagte er. »Warum zeigst du mir das erst heute?«
»Vielleicht, weil ich im Herzen eine kleine Schneiderin geblieben bin und mich nicht traute.«
Gaspare lachte. »Diese Rückstichtechnik ist wirklich sehr gut. Darf ich sie meinen Studenten beibringen?«
»Natürlich«, sagte ich und war sehr stolz.
»Dann darfst du jetzt die Naht fertig machen.«
Während des gesamten Geschehens zeigte Seine Exzellenz kaum eine Regung, atmete ruhig und schien nichts zu spüren. Als alles vorüber war, sagte ich: »Wenn das der Erste Akt sein sollte, was kommt danach? Ich meine, die Rekonstruktion ist doch so gut wie vollzogen?«
Gaspare streckte sich, denn wir hatten die ganze Zeit mit gebeugtem
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