Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Medica von Bologna / Roman

Die Medica von Bologna / Roman

Titel: Die Medica von Bologna / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
Vom Netzwerk:
Binden und Bänder in seinem Gesicht, fühlte ihm den Puls, sah mir die Zunge an und kontrollierte das, was er über Nacht in den metallenen Topf gemacht hatte. Dann sagte ich: Deinem Körper geht es gut, es muss dir also etwas im Kopf herumspuken, das dich belastet. Heraus mit der Sprache. Was ist es?«
    »Ihr seid eine sehr gute Chirurgin, Herrin.«
    »Danke. Aber das wolltest du mir wohl nicht sagen.«
    »Nein, äh, doch.«
    Ich wartete.
    Nach einer Weile machte Latif einen neuen Anlauf: »Es ist die Sache mit dem Schilfrohr, Herrin. Ihr wisst schon, warum ich es brauche.«
    »Ja, natürlich.«
    »Nun, ich dachte, es wäre schön, wenn ich es nicht mehr benutzen müsste. Ich meine …« Er machte eine inhaltsschwere Pause.
    »Du brauchst nicht weiterzusprechen. Ich verstehe, was du möchtest.« Latif hatte eine naheliegende Überlegung angestellt. Er hatte sich gesagt, wenn eine Nase rekonstruiert werden kann, müsste es bei einem Glied vielleicht auch gehen. Doch leider war das, nach allem, was ich wusste, nicht möglich. »Das ist leider nicht …«, hob ich an – und brach ab, denn Latif sah mich so bittend an, so voller Hoffnung, dass ich es nicht fertigbrachte, ihn zu enttäuschen. »… so einfach«, ergänzte ich deshalb. »Ich weiß nicht, ob es überhaupt geht. Aber ich will meine Bücher zu Rate ziehen und dir dann Bescheid geben.«
    »Ja, Herrin. Danke!« Latifs Augen leuchteten.
    »Nun wollen wir uns aber deiner Nase zuwenden.« Mit großer Behutsamkeit trennte ich den Lappen vom Arm und befreite Latif von seinen starren Verbänden. Zwanzig Tage hatte er im Bett mit angewinkeltem Arm gesessen, jetzt konnte er ihn endlich herunternehmen. Ich half ihm dabei, denn die Muskulatur war schwach, sie hatte sich durch die mangelnde Bewegung stark zurückgebildet. Anschließend besah ich mir die Operationsstelle nochmals genau und stellte zufrieden fest, dass der Hautlappen überall gut angewachsen war und ein gutes Stück über den Nasenstumpf hinausragte. »Es steht alles zum Besten«, sagte ich. »Ich werde jetzt den Nasenstumpf und die Unterseite des überstehenden Lappens mit einem raspelähnlichen Instrument aufrauhen.«
    Ich tat es und fragte: »Sind die Schmerzen erträglich?«
    »Ja, Herrin.« Latif wollte seinen frei gewordenen Arm auf und ab bewegen, aber ich verbot es ihm, denn ich musste mich konzentrieren. Als ich fertig war, sagte ich: »Damit ist der Vierte Akt vollzogen, der Fünfte möge beginnen. Es folgt die Modellierung der Nase.«
    »Endlich, Herrin! Möge Allah Euch die Hand führen.«
    Ich drückte das überstehende Stück Nasenlappen mehrmals probehalber auf die Oberlippe und war nun endgültig sicher, dass daraus später das
septum
und die Nasenlöcher gebildet werden konnten. Vorsichtig vernähte ich den überstehenden Lappen, was Latif anscheinend unbeteiligt über sich ergehen ließ. Dann fixierte ich alles mit Hilfe von Binden, die ich am Hinterkopf zusammenknotete. Ich achtete darauf, dass sie fest, aber nicht zu fest saßen.
    »Seid Ihr fertig, Herrin?«
    »Für heute, ja. Bis zur Anheftung des
septums,
dem Sechsten Akt, werden noch zehn oder zwölf Tage vergehen.«
    »Und ich dachte, ich wäre schon heute fertig?«
    »Geduld, Latif, Geduld.«
     
    Zehn Tage musste Latif noch warten, bis der überstehende Lappen gut angewachsen war. Ich nutzte die Zeit, um meine Literatur nach Operationsbeispielen für einen Gliedaufbau
per insitionem,
also durch Aufpfropfung, zu durchsuchen, was meistens nachts geschah, wenn ich ohnehin nicht schlafen konnte, weil Giancarlo in meinem Bauch rumorte.
    Doch ich fand keine einzige Beschreibung eines solchen Eingriffs. Latif, der mich hin und wieder fragte, wie der Stand der Dinge sei, wurde von mir stets vertröstet. Ich sei noch dabei, die Möglichkeiten zu prüfen, sagte ich und kam mir ziemlich heuchlerisch dabei vor. Um mein Gewissen zu erleichtern, tat ich das, was ich schon seit Monaten hatte tun wollen: Ich schrieb an Maurizio, meinen tapferen, väterlichen Freund, der so heroisch gegen die Pest in Venedig gekämpft hatte. Ich schilderte in groben Zügen, wie es mir in der Zwischenzeit ergangen war, ohne jedoch näher auf das von ihm erstellte Gutachten über die Kräuter
amomum
und
costus
einzugehen, drückte meine Hoffnung aus, dass er wohlauf sei, und stellte abschließend die Frage, ob er Näheres über die Rekonstruktionsmöglichkeiten bei einem männlichen Penis wisse. Es ginge um Latif, meinen Diener, an den er sich gewiss erinnere.

Weitere Kostenlose Bücher