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Die Medica von Bologna / Roman

Die Medica von Bologna / Roman

Titel: Die Medica von Bologna / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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Haken, Ösen und Knöpfe, über Schnitte, Stiche, Nähte, Säume und alle möglichen Finessen und stellte insgeheim immer wieder fest, wie aufmerksam er meinen Worten lauschte.
    Auch ich hörte ihm wie gebannt zu, als er über die Schuhmode berichtete und wortreich erzählte, dass die sich immer mehr verbreitende Angewohnheit, auf daumendicken Absätzen zu laufen, sowohl für Männer als auch für Frauen gelte, wobei die Zeit, in der noch Schnabelschuhe getragen worden wären, keine hundert Jahre zurückläge. Es seien von der Fertigung her höchst schwierige Stücke gewesen, weil sie zunächst mit der Innenseite nach außen genäht und dann gewendet wurden. Die Spitze hätte natürlich nicht gewendet werden können, die wäre später mit versteckten Stichen angebracht worden. Danach hätte die Mode nach runderen Spitzen verlangt, woraufhin Schuhwerk folgte, das so seltsame Namen wie Entenschnäbel, Bärenklauen und Ochsenmäuler trug. Anschließend hätten die Vertreterinnen des schönen Geschlechts Schuhwerk mit Plateausohlen bevorzugt. Besonders die Venezianerinnen seien es gewesen, die diese Mode fast bis zur Lächerlichkeit getrieben hätten, indem sie Sohlen trugen, die bis in Kniehöhe ragten und beim Gehen ein ständiges Abstützen durch Stöcke oder Dienerinnen erforderten.
Chopinen
hätten diese Sockelschuhe geheißen, und ich solle bloß froh sein, dass solche Auswüchse der Vergangenheit angehörten.
    Gerade hatte Marco begonnen sich auszumalen, wie es wäre, wenn jeder von uns mit den Materialien des anderen arbeiten würde, wenn beispielsweise ich Röcke aus gepunztem Leder schneidern und er Schuhe mit brokatenem Überzug fertigen würde, als meine Mutter nach Hause kam. »Carla, bist du allein?«, fragte sie überflüssigerweise, denn natürlich hatte sie schon die fremde Stimme gehört.
    »Nein, Mamma«, sagte ich, »Marco Carducci ist hier.«
    »Der Sohn von Signora Carducci?«
    »So ist es, Signora.« Marco stand auf, ging meiner Mutter entgegen und verbeugte sich höflich.
    Ihre Augen wanderten zwischen ihm und mir hin und her, und man musste kein Hellseher sein, um zu erkennen, dass sie sich fragte, ob zwischen uns Unzüchtiges passiert war.
    »Wir haben uns unterhalten, Mamma«, sagte ich.
    »Aha, ja«, sagte sie.
    Da Marco noch keine Anstalten machte, meiner Mutter sein Anliegen vorzutragen, beschloss ich, sie ein bisschen zappeln zu lassen. »Marco ist Schuhmacher«, sagte ich.
    »Das weiß ich, ich kenne ihn ja schon lange.«
    Das wiederum wusste ich nicht, und ich ärgerte mich darüber. Warum hatte meine Mutter mir nie von Marco erzählt? Hatte sie Angst, er könne so abweisend reagieren wie ihre kostbaren Kundinnen, vor denen sie mich ständig versteckte? War ich nicht schon einsam genug? Ich beschloss, sie für ihre lächerlichen Verdächtigungen ein wenig büßen zu lassen, und sagte: »Marcos Mutter wird fünfzig. Er möchte ihr mein Gesellenstück zum Geburtstag schenken, du weißt doch, das Kleid, für das mir Signora Carducci Modell stand. Ich habe ihm gesagt, wir würden es ihm gern verkaufen, zu einem günstigen Preis, wie er unter Nachbarn üblich ist.«
    Mit Genugtuung sah ich, wie meiner Mutter die Zornesröte ins Gesicht schoss. Aber vor Marcos Augen wollte sie keinen Streit vom Zaun brechen, deshalb beherrschte sie sich und sagte nur: »Ja, äh, nun gut.«
    »Das ist wirklich sehr freundlich von Euch, Signora!«, rief Marco und schüttelte meiner Mutter die Hand. »Wirklich sehr freundlich. Wenn es Euch recht ist, ich hätte das Geld gleich dabei …«
    So kam es, dass Marco und ich uns kennenlernten.
     
    Dass Marco ein Freund werden könnte, ahnte ich allerdings erst fünf Tage später, als er wieder an unsere Haustür klopfte. Ich hatte nicht damit gerechnet, ihn jemals wiederzusehen, und machte ein entsprechendes Gesicht, als er vor mir stand. Er lächelte scheu und hielt mir eine rote Rose entgegen.
    »Ich kann dich nicht einlassen«, sagte ich, »meine Mutter ist nicht da.« Er konnte nicht wissen, dass sie mir nach seinem ersten Besuch die halbe Nacht Vorwürfe gemacht hatte. Immer wieder hatte sie mir vorgehalten, wie unerhört es sei, mit einem fremden jungen Mann allein zu sein, immer wieder hatte sie den niedrigen Preis für mein Gesellenstück beklagt. Ich war heilfroh gewesen, als sie sich endlich an ihren Hausaltar zurückzog, um Gottes Verzeihung für meine Sünden zu erflehen. Am nächsten Morgen hatte sie weiter auf mich eingeredet, gejammert und lamentiert,

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