Die Medica von Bologna / Roman
Gespräche vor der Haustür immer länger, und mir wurde endgültig bewusst, dass ich bis dahin ein Mauerblümchendasein geführt hatte. Jedes Mal schilderte er mir in den glühendsten Farben, welch außergewöhnliche Dinge er mit mir vorhabe, Dinge, von denen ich nie zuvor etwas gehört hatte. Er redete von Weinfesten in den Tavernen um die Piazzola de Caldarini, von Gauklereien, Possenreißereien und Mummenschanz unter den Geschlechtertürmen Asinelli und Garisenda, von Musikzügen unter den Laubengängen der Innenstadt, von Pastorale-Aufführungen in der Kathedrale San Pietro und von Tanzveranstaltungen hinter den vergoldeten Fassaden der großen Zunfthäuser. Er redete in keiner Weise wie ein
calzolaio,
der täglich mit Leder, Leim und Leisten umging, und doch war er einer – wenn auch vielleicht der ungewöhnlichste, der jemals in Bologna gelebt und gearbeitet hat.
Bevor er die zehnte rote Rose brachte, sagte ich mir, dass es so nicht weiterginge. Ich fasste einen Entschluss: Ganz gleich, was Marco mir beim nächsten Mal vorschlagen würde, ich wollte ihn begleiten. Doch als er vor unserer Tür stand, kam alles ganz anders. Denn erstens war die Rose, die er in der Hand hielt, nicht rot, sondern weiß, und zweitens war meine Mutter zu Hause.
Ich wollte ihn abwehren, aber er sagte: »Bitte, lass mich durch, Carla, ich möchte mit deiner Mutter sprechen.« Er ging geradewegs in das Werkstattzimmer und sagte zu ihr: »Signora Castagnolo, erlaubt mir, Euch diese Rose zu verehren, denn heute ist ein besonderer Tag.«
Meine Mutter schaute stirnrunzelnd von ihrer Arbeit auf. »Eine Rose, für mich?«
»Ganz recht, Signora.«
Meine Mutter nahm zögernd die Rose entgegen und gab sie mir. »Bitte stell sie ins Wasser.« Ich nahm die Blume und ging mit ihr in den angrenzenden Raum. Als ich wiederkam, merkte ich, dass Marcos Gesicht Flecken aufwies. Ich kannte ihn mittlerweile gut genug, um zu wissen, dass dies ein Zeichen seiner Nervosität war. Meine Mutter saß noch immer über ihrer Arbeit und machte trotz der Rose ihr übliches freudloses Gesicht.
»Nun, ja«, sagte Marco. Sein anfänglicher Schwung schien verflogen. »Ja, hm, dies ist ein besonderer Tag,
gentilissima
Signora. Aber wenn ich es recht bedenke, fehlen mir für das, was ich sagen will, die richtigen Worte. Vielleicht lasse ich besser dies hier sprechen.« Er holte ein Paket unter seiner mantelartigen Zimarra hervor und legte es auf den Tisch. »Bitte, Carla, mach es auf.«
»Was ist denn darin?«, fragte ich.
»Pack es nur aus.«
Ich löste den Faden und schlug das umhüllende Pergament zurück. Das Erste, was ich sah, waren zwei meerblaue Stoffrundungen, besetzt mit roten und grünen Glasperlen, dann kam immer mehr zum Vorschein, nahm Konturen an und entpuppte sich schließlich als ein Paar wunderschöner, über und über mit Brokat verbrämter Lederschuhe.
»Was ist das?«, fragte ich atemlos, obwohl ich es schon ahnte.
»Das sind deine Brautschuhe, Carla.« Marco schien seine Sicherheit wiedergewonnen zu haben, denn er wandte sich mit fester Stimme an meine Mutter: »Ich möchte um die Hand Eurer Tochter anhalten, Signora.«
»Du möchtest was …?« Meine Mutter blickte ungläubig, um nicht zu sagen vorwurfsvoll, während ich einen unterdrückten Laut von mir gab. Eine Weile geschah nichts. Es war so ruhig im Zimmer, dass ich glaubte, jeder müsse mein Herz klopfen hören. Dann sagte Marco: »Zieh sie doch mal an. Ich bin sicher, sie passen dir.«
Während ich noch unentschlossen die herrlichen Schuhe betrachtete, legte meine Mutter langsam Nadel und Faden beiseite. »Du willst also meine Tochter heiraten«, sagte sie, und es klang, als wolle Marco sich freiwillig einen Arm abhacken.
»Ja, Signora.«
»Nun, äh, das kommt etwas plötzlich. Wenn ich mich nicht täusche, habt ihr beide euch doch erst ein Mal im Leben gesehen?« Ihr Gesicht nahm wieder jenen misstrauischen Ausdruck an, den ich so hasste.
Doch Marco tappte nicht in die Falle, im Gegenteil, er war geschickt genug, sein Anliegen mit Worten aus der Heiligen Schrift zu untermauern. Er sagte: »Signora, schon in der Bibel steht: Es ist nicht gut, dass der Mann allein sei, und: Seid fruchtbar und mehret euch.«
»Aber die Schrift sagt ebenso: Und die, die da sind, sind fleischlich gesinnt, und: Verdammt sei die Sünde im Fleisch.« In Sachen Bibelfestigkeit ließ meine Mutter sich von niemandem etwas vormachen.
»Gewiss, Signora«, lenkte Marco ein.
Wieder entstand eine
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