Die Medica von Bologna / Roman
beabsichtigt: »Danke. Nun hast du es gesehen. Wenn du es immer noch kaufen willst, musst du mit meiner Mutter sprechen. Aber ich weiß nicht, wann sie nach Hause kommt.«
»Wenn ich darf, warte ich.«
Der Gedanke, mich mehrere Stunden mit einem fremden jungen Mann unterhalten zu müssen, war mir nicht angenehm. Am liebsten hätte ich Marco hinauskomplimentiert, aber ich traute mich nicht. Deshalb sagte ich: »Es kann spät werden.«
»Das macht nichts, ich habe Zeit.«
»Musst du denn nicht arbeiten, ich denke, du bist Schuhmacher?«
Marco streckte sich. »Heute habe ich mir freigenommen, denn die Sache mit dem Kleid ist mir sehr wichtig.«
»Du … du liebst deine Mutter wohl sehr?«, fragte ich vorsichtig, während ich das Kleid in die Truhe zurücklegte.
»Ja, das tue ich. Sie ist ein guter Mensch und eine fröhliche Frau, obwohl sie viel Schlimmes durchgemacht hat.«
Ich musste an meine Mutter denken, die niemals fröhlich war. »Hast du Geschwister?«
»Alle tot.« An der Art, wie Marco das sagte, merkte ich, dass er darüber nicht sprechen wollte. Ich schwieg, doch nach einer Weile fuhr er fort: »Sie hat nur mich, und ich habe nur sie, seit Vater tot ist.«
»Das tut mir leid.«
»Das muss dir nicht leidtun.« Marco lächelte flüchtig. »Unsere Toten tragen Mutter und ich im Herzen, so sind sie immer bei uns. Wir sind eine kleine, glückliche Familie.«
Ich dachte abermals an meine Mutter und überlegte, ob man sie und mich ebenfalls als kleine, glückliche Familie bezeichnen konnte, und kam zu dem Schluss, dass dies nicht der Fall war. Glück ohne Lachen oder Fröhlichkeit, ohne ein Lied oder einen munteren Scherz gab es nicht. Meine Mutter wirkte stets ernst und freudlos, und wenn ihr Gesicht doch einmal vor Erfüllung leuchtete, dann nur, wenn sie Zwiesprache mit ihrem Gott hielt. Sie betete täglich mehrfach und tat es seltsamerweise immer allein. Niemals forderte sie mich auf, mit ihr zusammen den Herrn anzurufen. Warum, das wurde mir erst sehr viel später klar.
»Aber du, du schaust nicht gerade glücklich drein«, sagte Marco.
Ich fand, dass ihm diese Bemerkung nicht zustand. Wie mir zumute war, ging ihn nichts an. Ich wollte ihn zurechtweisen, aber dann sagte ich mir, dass er es sicher nur gut gemeint hatte. »Willst du ein Glas Wein?«
»Wenn du eines mittrinkst.«
»Ich trinke niemals Wein.«
Es entstand eine Gesprächspause, in der wir beide Löcher in die Luft starrten und hofften, der andere möge etwas sagen. Schließlich stand ich auf, um den irdenen Krug mit dem Lambrusco aus Modena zu holen, wobei ich darauf achtete, Marco nicht die Gesichtshälfte mit dem Feuermal zu zeigen. Als ich ihm eingoss, bedankte er sich und sagte: »Du musst die Seite mit dem Mal nicht vor mir verbergen. Das Mal ist für mich einfach nicht vorhanden, glaub mir. Ich sehe es gar nicht, ich sehe nur die Schönheit dahinter. Die innere Schönheit.«
Ich dachte, nicht richtig gehört zu haben, um ein Haar wäre mir der Krug aus der Hand gefallen. Noch nie hatte jemand etwas Derartiges zu mir gesagt. Ich spürte, wie ich rot wurde.
»Salute«,
sagte ich hastig und eilte in den angrenzenden Raum, denn mit seiner Bemerkung von der inneren Schönheit hatte er mich ziemlich aus der Fassung gebracht. Ich atmete ein paarmal tief durch und stellte fest, dass ich mich darüber freute. Sehr freute.
Doch ich wollte Marco das nicht zeigen, deshalb ließ ich ihn noch eine Weile mit seinem Glas allein. Als ich zurückging, hatte ich mich wieder gefangen und sagte zu ihm wie nebenbei: »Ich glaube, ich trinke doch ein Glas mit.«
»Was, wirklich?
Fantastico!
«
Er brachte es tatsächlich fertig, drei Stunden auf meine Mutter zu warten und während der ganzen Zeit mit mir zu plaudern, ohne dass mir dabei langweilig wurde. Wir redeten nicht nur über das Wetter, sondern auch über die Ernte des vergangenen Jahres, über die Preise für Brot und Nudeln, über die Nachbarn und ihre Launen, über unsere Sternzeichen und über die Feste und Veranstaltungen auf der Piazza Maggiore. Damit waren wir bei der Seiden-Messe, die gerade stattfand, und hatten ein Thema gefunden, das uns beide gleichermaßen fesselte, besonders, als die Sprache auf Kleiderstoffe kam, ein Gebiet also, auf dem ich mich sehr gut auskenne. Ich erklärte Marco die Unterschiede zwischen Seide und Satin, Atlas und Brokat, redete über Anwendungs- und Verarbeitungsmöglichkeiten der Gewebearten, über Gold- und Silberfäden, über Ornamente, über
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