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Die Medica von Bologna / Roman

Die Medica von Bologna / Roman

Titel: Die Medica von Bologna / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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gefeiert. Mitglieder der besten Familien stellten sich zum Fest im Haus der Tagliacozzis ein, darunter natürlich auch die Pateneltern, deren hoher Rang ein Hinweis darauf war, welch herausragende Bedeutung der Hausherr mittlerweile unter den Honoratioren der Stadt erlangt hatte. Es waren Seine Hoheit Giovanni, Herzog von Slutsk in Litauen, sowie seine Gemahlin, Madame Maddalena Marescotti, eine Tochter der gleichnamigen hochgeachteten Senatorenfamilie.
    Die Nachrichten taten mir weh, ich spürte Neid, aber ich dachte an den Satz, den Latif einmal zu mir gesagt hatte: »Wer alles will, verliert alles.« Und ich sagte mir, dass ich nichts von dem, was ich hatte, verlieren wollte.
    So genoss ich weiterhin mein schönes Haus, vergrub mich in meine Bücher und nähte mir zwei neue Kleider: eine weite Robe in Türkis mit Stehkragen-Oberteil und eingewebtem Rosenmuster sowie ein sienafarbenes Gewand mit enger Taille und beiderseitigem Hüftpolster, welches die Pariser Mode seit ein paar Jahren vorschrieb. Außerdem stand ich häufig am Herd, um meine Kochkünste zu verbessern. Ich erfand raffinierte Risottos mit Trüffelraspeln und geriebenem Parmesan, buk Goldbrassen in mit Thymian angereicherter Salzkruste oder übte mich in der Herstellung von Schmorgerichten wie dem
ossobuco
. Denn eines hatte sich immer wieder gezeigt: Trotz seiner zweifellos vorhandenen Qualitäten würde aus Latif niemals ein guter Koch werden.
    Die Zeit ging ins Land, man schrieb das Jahr 1581. Latif und ich lebten nach wie vor in meinem Haus – nebeneinander, wie Herrin und Diener, aber auch ein wenig miteinander, wie Frau und Mann –, und ich hatte meinen Frieden mit mir gemacht. Doch im Spätsommer fiel mir ein Traktat mit prächtig gestaltetem Frontispiz in die Hände, ein Werk namens
De Instrumentis pro Arte reparatoria.
Es machte viel von sich reden in der Gelehrtenwelt, und sein Autor war niemand anders als Gaspare Tagliacozzi.
    Gespannt schlug ich das Buch auf, denn alles Medizinische fesselte meine Aufmerksamkeit nach wie vor. Doch je länger ich las, desto bekannter kam mir sein Inhalt vor. »Die Instrumente für die Kunst der Reparatur«, deren Beschaffenheit und Anwendung ausführlich beschrieben wurden, bestanden aus gebogenen Nadeln von Gold oder anderem Metall, verschiedenen Nahttechniken, darunter einer neuen, der Rückstichnaht, welche die alte
Sutura interscissa
ablösen sollte, ferner aus Schneid- und Greifwerkzeugen, von denen eine Neuentwicklung, die zweischlitzige Greifzange mit stufenlosem Schließmechanismus, besonders hervorgehoben wurde, ebenso wie die spezielle Weste mit eingenähten Stützen aus Fischbein, Kapuzenweste genannt, die dem Patienten während der Nasenrekonstruktion deutlich mehr Halt bieten sollte.
    Spätestens an dieser Stelle schlug mein aufkeimender Ärger in helle Empörung um. Die Instrumente oder Techniken, die Tagliacozzi beschrieben hatte, waren samt und sonders Hilfsmittel, die ich erdacht hatte. Gewiss, manches davon war im Gespäch zwischen ihm und mir entstanden, aber die Initiative dazu war jedes Mal von mir ausgegangen. Er aber hatte meinen Beitrag mit keinem Wort erwähnt, sondern tat vielmehr so, als hätte er alles ersonnen. Er hatte mein geistiges Eigentum gestohlen und für seine Zwecke verwendet, er war ein Plagiator.
    »Herrin, was habt Ihr? Ihr seht aus wie ein feuerspeiender Drache?«
    »Vielen Dank für das Kompliment, du warst schon liebenswürdiger!«
    »Verzeiht, Herrin. Der Vergleich trifft natürlich nicht zu. Ich hatte Sand in meinen Augen, Ihr habt die Anmut von Schehrezâd aus 1001 Nacht.«
    »Veralbere mich nicht. Ich bin in der Tat zornig und habe auch allen Grund dazu.« Ich zeigte Latif die fragwürdigen Stellen in Tagliacozzis Werk und erklärte ihm, welche Anmaßung der »schändliche Mann, der abtreiben lassen wollte«, sich damit erlaubt hatte. »Verstehst du mich jetzt?«, fragte ich ihn.
    »Ja und nein, Herrin. Ich verstehe Euch, weil der Sachverhalt so klar ist, wie eins und eins zwei ergibt. Und ich verstehe Euch nicht, weil Euch das Wissen um die eigene Leistung genügen sollte. Der Mann, der sich mit den Federn eines anderen schmückt, ist ein armer Mann.«
    »Diese Erkenntnis genügt mir nicht.«
    Latif kullerte mit den Augen. »Ist es denn noch immer so, dass Ihr die Anerkennung der Öffentlichkeit sucht, Herrin?«
    »Unsinn, natürlich nicht.«
    Latif lächelte sanft. »Was ist es dann?«
    »Nun, ich … ich denke, du hast noch einiges in der Küche zu

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