Die Medica von Bologna / Roman
verbundenen Vorteile in der Ausübung meiner Kunst leuchteten mir ebenfalls ein. Ich fragte mich, warum ich zauderte, denn am Geld lag es gewiss nicht. Es kam mir nicht darauf an, reich zu werden. Geld hatte mir noch nie sehr viel bedeutet. Es lag auch nicht an der Gefahr, der ich mich aussetzen würde, wenn ich als Frau eine den Männern vorbehaltene Tätigkeit ausübte. Nein, es lag an etwas anderem, wie ich schließlich erkannte: Meine Tätigkeit und die damit verbundenen Leistungen würden niemals an die Öffentlichkeit dringen. Die Anerkennung, die ich mir als Frau so sehr wünschte, würde mir versagt bleiben.
Latif, der sich von Tag zu Tag neugieriger zeigte, platzte irgendwann heraus: »Herrin, es ist allmählich Zeit, Buchstaben mit Punkten zu machen.«
»Was meinst du damit?«
»Ihr solltet Nägel mit Köpfen machen, wie man hierzulande sagt. Ihr habt ein Allah wohlgefälliges Werk an Itzik getan, obwohl er nicht dem wahren Glauben angehört, und zwei Tage später habt Ihr noch einmal nach ihm gesehen, aber eine Entscheidung habt Ihr noch immer nicht gefällt.«
»Ich bin mit meinen Überlegungen zum Abschluss gekommen.«
»Oh, das erfreut mein Herz! Und wie lautet dieser Abschluss?«
Ich erklärte ihm die Gründe, warum ich das Angebot der Bettler ablehnen musste.
Latif kullerte mit den Augen. »Aber Herrin! Wo bleibt Euer Gewissen als Ärztin!«
»Sag mal, wie redest du eigentlich mit mir?«
»Verzeiht, Herrin, aber ich glaube, Ihr habt Euch die Sache nicht richtig überlegt. Bedenkt, was die arabische Weisheit sagt: Wer alles will, verliert alles.«
»Was ich will, ist wenig genug, um nicht zu sagen, selbstverständlich. Ich will Anerkennung für meine Leistungen. Die von einer Frauenhand operierte Stelle verheilt genauso gut wie die von einer Männerhand operierte. Das hast du selbst am eigenen Leibe erfahren.«
»Bei Allah, dem Erbarmer, dem Barmherzigen, wie könnte ich das jemals vergessen, Herrin! Verzeiht mir, wenn ich hartnäckig bin. Die Bettler um Conor sind zwar allesamt ungläubig, aber sie sind auch Menschen, gute Menschen, die Euch verehren. Niemals würden sie Euch wegen Eurer Rubinseite im Gesicht brandmarken, ebenso, wie sie niemals auf den Gedanken kommen würden, mich kastrieren zu lassen. Ob es der Inquisitor des Papstes ist oder der Oberbeschneider im Topkapı-Palast – immer sind es Männer, die das Böse veranlassen. Und bei solchen Kreaturen des Teufels sucht Ihr Anerkennung?«
Du bist doch selbst ein Mann, wollte ich antworten, aber mir fiel ein, dass Latif sich vielleicht gar nicht als Mann fühlte. Vielleicht war er einfach nur Latif. »Du bist hinter meinem Rücken zu den Bettlern gegangen«, sagte ich vorwurfsvoll. »Wie konntest du nur.«
»Oh, Herrin, bei Allah, dem Erkennenden, dem Listenreichen, das habe ich nie getan.«
»Wie meinst du das? Willst du mich veralbern?«
»Aber nein, bei allen Dschinn-Dämonen der Wüste, das würde mir niemals einfallen, Herrin! Aber gestattet mir eine Frage: Würdet Ihr mir, Eurem treuen Diener, jemals den Rücken kehren?«
Ich dachte daran, dass Latif trotz seiner vorwitzigen und manchmal selbstherrlichen Art ein ergebener, zuverlässiger, in vielerlei Hinsicht sogar angenehmer Diener war, und antwortete: »Natürlich nicht.«
»Da seht Ihr, Herrin. Selbst wenn ich wollte, könnte ich nichts hinter Eurem Rücken tun.«
»Latif, du bist ein Wortverdreher.«
»Da mögt Ihr recht haben, Herrin. Haltet Ihr Eure Entscheidung aufrecht?«
»Ja«, sagte ich.
Und dabei blieb es.
Kurze Zeit später fing ich wieder bei den frommen Schwestern von San Lorenzo an, und der Alltag nahm seinen gewohnten Lauf. Ein mehr oder weniger ereignisloses Jahr verging, in dem ich um meinen kleinen Giancarlao trauerte und regelmäßig sein Grab aufsuchte. Ebenso regelmäßig lenkte Latif seine Schritte zu Conor, Fabio und ihren Genossen in den Untergrund. Allerdings tat er es nicht mehr heimlich. Anschließend erzählte er mir unaufgefordert, wie es seinen Freunden erging, und erwähnte manches Mal wie nebenbei, dass dieser oder jener an einer Krankheit litt. Dabei schaute er mich mit seinen Kulleraugen fragend an. Ich aber schaute weg, tat so, als interessierten mich seine Berichte nur am Rande, und erzählte meinerseits von belanglosen Begebenheiten im Klosterhospital der hilfreichen Nonnen.
Schwester Marta, die Tüchtige, Resolute, begann in jener Zeit zu kränkeln. Sie neigte zu Schwindel und Schweißausbrüchen und unerklärlichen
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