Die Medica von Bologna / Roman
züngelnde Feuer ist. Vergesst nicht: Der Heilige Geist wurde den Jüngern Jesu zuteil, als sie sich fünfzig Tage nach seiner Auferstehung in Jerusalem versammelten. Er verlieh ihnen die Fähigkeit …«
»Vater, es tut uns leid, aber …«
»Untersteht euch, mir ins Wort zu fallen! Wollt ihr die unverzeihliche Schuld auf euch laden, einen geweihten Mann Gottes nicht aussprechen zu lassen! Der Heilige Geist also verlieh den Jüngern die Fähigkeit, in fremden Zungen zu predigen, was jeder, der dem allein seligmachenden Glauben anhängt, als Pfingstwunder bezeichnet. Durch das Pfingstwunder wiederum wurde die babylonische Sprachverwirrung aufgehoben, mit der Gott die Menschen für die Hybris des Turmbaus zu Babel strafen wollte. Ja, heute ist Pfingsten, ihr Burschen, das Fest des Heiligen Geistes, welches auch durch die unschuldige Taube symbolisiert wird. Seid ihr sicher, dass die Taube, die ihr in euren groben Händen haltet, an einem Tag wie diesem Schuld auf sich geladen hat?«
»Verzeihung, Hochwürden. Wir haben strikten Befehl …«
»… diese Frau der Inquisition zuzuführen, ich weiß, ihr sagtet es bereits. Ist euch überhaupt klar, was das Wort bedeutet? Es kommt von dem lateinischen inquisitio, was so viel wie ›Untersuchung‹, ›Erkundung‹ bedeutet – und nicht, wie ihr vielleicht denkt, ›foltern‹ oder ›quälen‹.«
»Vater, mit allem Respekt, wir können …«
»Richtig, meine Söhne, ihr könnt euch auf mich verlassen. Fahrt mit eurer Kutsche zu der Kirche eures Sprengels und betet um die Erleuchtung durch den Heiligen Geist. Ich will derweil die Gesinnung dieser Taube erkunden. Ich werde herausfinden, ob sie eine Häretikerin ist oder nicht. Ist sie es, so will ich dafür sorgen, dass sie meinem Bruder Helvetico zugeführt wird, ist sie es nicht, will ich meinen Bruder davon in Kenntnis setzen. Und nun geht, ihr Burschen. Der Herr sei mit euch und gebe euch Frieden.«
Pater Edoardo schlug das Kreuz vor ihnen und nahm mich mit der größten Selbstverständlichkeit beim Arm. Zusammen gingen wir in die andere Richtung. Ich hörte ihn irgendetwas sagen, aber ich verstand ihn nicht, denn meine Sinne waren bis zum Zerreißen gespannt.
Würden die Häscher hinter uns herkommen?
Würden sie es wagen, gegen einen Gottesmann handgreiflich zu werden?
Ich vernahm einige Wortfetzen in meinem Rücken, Füßescharren und dann einen Peitschenknall, der mich zusammenzucken ließ.
Dann hörte ich die Kutsche davonfahren.
Ich blieb stehen und fing an zu weinen, so unendlich erleichtert war ich.
»Es ist vorbei, meine Tochter«, sagte Pater Edoardo und gab meinen Arm frei. »Du kannst gehen, wohin du willst. Danke dem Herrn, deinem Schöpfer, dass er mich zur rechten Zeit dazukommen ließ.«
Ich heulte hemmungslos, schluchzte und bekam einen Schluckauf.
»Na, na, so schlimm wird es nicht sein.« Er klopfte mir behutsam den Rücken. »Geht es wieder?«
Langsam wurde ich ruhiger. »Danke, Hochwürden, danke, danke!«
»Es war ein hartes Stück Arbeit, das ich aber gern für dich erledigt habe.« Er blickte mich ernst an, und ich sah, wie sehr er in den letzten Jahren gealtert war.
»Hochwürden, Ihr werdet Schwierigkeiten bekommen, wenn Ihr mich laufen lasst.«
»Ich? Schwierigkeiten?« Er blickte mich amüsiert an. »Kennst du den Satz von den Krähen?
Cornacchia non mangia cornacchia?
Mir hackt schon keiner ein Auge aus. Im Übrigen ist der Inquisitor Seiner Heiligkeit, Baldassare Savelli, ein entfernter Verwandter von mir. Dich jedoch wird das kaum vor weiterer Verfolgung schützen.«
»Warum tut Ihr das für mich, Hochwürden?«
»Warum ich das für dich tue? Nun, Gott hat es so gefügt. Ebenso, wie er bestimmte, dass deine Mutter eine tiefgläubige Frau war.« Er schlug das Kreuz und blickte mich ernst an. »Und ich ein armer Sünder.«
»Ja, Vater«, sagte ich.
»Geh, jetzt, meine Tochter. Die mir anvertrauten Schafe warten in San Rocco auf mich. Ich muss zu ihnen und mit ihnen die Pfingstmesse feiern.«
»Ja, Vater, Gott segne Euch.«
Ich sah ihn, wie er eilig die Via di Pietralata ansteuerte, auf dem Weg zu seiner schönen Kirche, und schlug meinerseits die Richtung zur Innenstadt ein. Ich ging wie auf Wolken. Ich konnte noch nicht fassen, was geschehen war. Der Priester, vor dem ich als Kind Todesängste ausgestanden hatte, hatte mir soeben das Leben gerettet. Was würde mich heute noch alles erwarten?
Auf der Piazza Maggiore, dort, wo Conor einst mit Hilfe von Massimo
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