Die Medica von Bologna / Roman
hat bisher noch jeder die Wahrheit hinausgeschrien.‹«
»
Sant’lddio,
der Herr sei ihm gnädig«, sagte ich fassungslos und schlug das Kreuz. Alle Kraft schien auf einmal von mir abzufallen, ich fühlte mich wie eine leere Hülle, wie abgestorben. Ich sank auf einen Eckstein am Straßenrand und starrte vor mich hin. Das, wovor ich mein halbes Leben lang Angst gehabt hatte, war eingetreten. Die Inquisition suchte nach mir.
Signora Mezzini hob hilflos die Hände. »Glaubt mir, Signorina Carla, ich konnte nichts tun. Was hätte ich tun können gegen zwei so starke Burschen. Ich fühle mit Euch, denn ich weiß, wie sehr Ihr an Eurem Diener hängt.«
»Ja«, sagte ich, »ja, ja.« Der Name Menghi allein klang schon bedrohlich für mich, doch in Verbindung mit Helvetico bekam er den kalten Beigeschmack des Todes. »Helvetico«, murmelte ich vor mich hin, »du Undankbarster aller Undankbaren. Solange du Sorge hattest, dir ins eigene Fleisch zu schneiden, hast du nichts gegen mich unternommen, aber nun scheint die Sache anders zu sein. Irgendjemand muss dir von meiner geheimen Tätigkeit als Ärztin berichtet haben, das ist die einzige Erklärung, die mir einfällt.«
Signora Mezzini legte mir besorgt die Hand auf die Schulter. »Signorina Carla, was sagt Ihr da? Ich verstehe Euch nicht, ist alles in Ordnung?«
»Ja, ja, macht Euch keine Sorgen.«
»Dann will ich rasch zu Ende erzählen. Nachdem die Kerle Euren Diener fortgeführt hatten, fragte ich mich, wie ich Euch warnen könnte, aber ich wusste nicht, wo ich Euch suchen sollte. Da fiel mir ein, dass Latif sich vor drei oder vier Wochen einmal verplapperte. Er sprach davon, dass Ihr in der Via Urbana Gutes tätet, indem Ihr Kranke heilt. Als er seinen Fehler bemerkte, musste ich schwören, niemals auch nur ein Sterbenswörtchen darüber zu verlieren, und natürlich habe ich meinen Schwur gehalten. Nun ja, in jedem Fall fiel mir diese Adresse ein, und ich beschloss, Euch dort zu suchen.«
»Es ist sehr anständig von Euch, dass Ihr mir helfen wolltet.«
»Ihr habt meinen Augenstern, meine kleine Teresa, gerettet, die Einzige, die mir nach der Fieberseuche vor einem Jahr noch geblieben ist. Ich würde noch viel mehr für Euch tun, Signorina! Doch hört, wie es weiterging. In der Via Urbana haben wir uns durchgefragt, aber niemand kannte Euch. Schließlich landeten wir in einer Pfandleihe bei einem alten Juden. Wieder fragte ich nach Euch, und ich erzählte dem Alten, Ihr hättet meine Kleine operiert. Ich musste es ein paarmal wiederholen, denn er scheint schwerhörig zu sein. Aber als er es verstanden hatte, sagte er: ›Oj, oj, sie hat gesegnete Hände, die Medica. Auch mich hat sie einmal operiert, das verbindet uns.‹ Er führte mich und Teresa hinab zu den Bettlern und zu Conor, ihrem König, und ich erzählte, was ich wusste. Alle machten sich große Sorgen, und Conor meinte, das Beste wäre, ich würde sofort umkehren, denn womöglich hätten sich unsere Wege gekreuzt, und wir hätten uns verpasst. Für den Fall, dass ich Euch treffe, soll ich Euch sagen, Ihr sollt Euch verstecken, am besten bei einer Nachbarin.«
»Vielleicht hat Conor recht.«
»Natürlich schlaft Ihr heute Nacht bei mir, Signorina.«
»Ja«, murmelte ich, »danke.«
»Ihr sollt warten, bis Conor und die Seinen die Lage erkundet haben. Wenn die Gefahr vorüber ist, wird er es Euch wissen lassen.«
»Und Latif?«
Signora Mezzini nahm meine Hand, und ich verstand. Für Latif konnte niemand mehr etwas tun.
Im Haus von Signora Mezzini kam ich mir vor wie auf einem anderen Stern, obwohl sie sich die größte Mühe gab, eine gute Gastgeberin zu sein. Sie bot mir von ihrem einfachen Essen an und schenkte mir billigen Wein ein. Teresa, die genau merkte, wie es um mich stand, plapperte auf mich ein und meinte altklug, ich müsse essen. Essen hielte Leib und Seele zusammen. Als ich keine Anstalten dazu machte, versuchte sie es mit einem Märchen,
La favola del paese di Cuccagna,
das sie mir lispelnd erzählte. Doch auch die Geschichte vom Schlaraffenland vermochte meinen Appetit nicht zu wecken.
Als es Zeit war, brachte Signora Mezzini ihre Kleine zu Bett, nachdem diese sich brav von mir verabschiedet und mir eine gute Nacht gewünscht hatte. Ich hörte beide im Nebenraum beten, dann kam die Mutter zurück, setzte sich zu mir und sagte: »Was kann ich nur tun, Signorina, um Euch zu helfen?«
»Nichts«, sagte ich. »Es gibt keine Hoffnung.«
»Oh, doch, es gibt immer Hoffnung.
Weitere Kostenlose Bücher