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Die Medica von Bologna / Roman

Die Medica von Bologna / Roman

Titel: Die Medica von Bologna / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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als Symbol der Reinheit.
    Latif hatte mir einmal erzählt, jedes Gebet drohe ungültig zu werden, wenn es durch Unreinheiten auf dem Boden befleckt würde. Ein ausgerollter Teppich dagegen, auf dem der Betende Allah anrufe, würde das verhindern. Im Freien wiederum brauche man keinen Teppich, da im Islam die Erde als reinigend gelte. Er allerdings würde auch draußen in der Natur stets seinen Kelim ausbreiten, denn man könne nie wissen, ob ein Tier an der betreffenden Stelle seine Losung verloren hätte.
    Dass der Teppich Latif gehörte, stand zweifellos fest, denn sein Name war am unteren Rand in arabischer Schrift eingewebt.
    Und noch etwas stand zweifellos fest: Die Häscher hatten ihn beim Beten gestört und verhaftet, denn niemals trennte er sich von seinem kostbaren Stück. Stets trug er es um den eigenen Leib gewickelt, aus Sorge, er könne es verlieren.
    Ich bückte mich und betrachtete den Teppich, und irgendwie war es mir, als könne mir jede Schlinge seines Webstoffs Kraft geben. Ich sah den Teppich, und ich sah Latif, und ich wusste, was zu tun war.
    Langsam zog ich mich aus und warf meine Kleider in eine Truhe. Dann wusch ich mich und trocknete mich ab. Ich wusste nicht, ob irgendeine Formel zu sprechen war, als ich den Teppich um meine nackte Haut schlang, aber es musste auch so gehen. Dann zog ich ein neues Gewand darüber. Ich wählte ein Hauskleid von unscheinbarem Schnitt und unauffälliger Farbe, denn ich hatte beschlossen, trotz aller Gefahren zu den Bettlern zurückzugehen. Die Bettler waren meine Freunde, sie würden mir helfen.
    Ich setzte mein Barett mit der Pfauenfeder auf und verhüllte mein Gesicht mit dem schützenden Schleier. Dann trat ich vor die Tür.
    Die Straßen in meiner Umgebung hatten sich belebt, denn die Bolognesi waren auf dem Weg zur Kirche. Auch ich wollte mich auf den Weg machen, aber ich wurde aufgehalten. Wie aus dem Nichts standen plötzlich zwei Männer vor mir, kräftige Burschen mit Oberkörpern wie Säulen. Einer von ihnen lüftete seine Kappe und sagte: »Sieh da, das Vögelchen ist ja doch zu Hause. Will es etwa ausfliegen?«
    Und der andere fügte genüsslich hinzu: »Das sollte es lassen, die Vogelfänger sind unterwegs. Sie haben lange Ruten mit Leim.«
    Der Erste lachte meckernd und spitzte die Lippen: »Djü, djü, djü! Wer bist du, kleiner Piepmatz? Du bist Carla Maria Castagnolo, die Ketzerschamanin, stimmt’s?«
    Und der andere rief: »Zeig uns dein Gesicht!« Er zerrte meinen Schleier zur Seite, blickte mich an – und prallte zurück. »
Caspita!
Bruder, siehst du das, was ich sehe? Eine
voglia di peccato
 – das Sündenmal im Gesicht einer Ketzerin.«
    Sie packten mich von beiden Seiten und schoben mich vor sich her zu einer Kutsche, die nur wenige Schritte entfernt wartete.
    »Ich habe nichts verbrochen«, rief ich verzweifelt. »Was wollt ihr von mir?«
    »Das wird dir Hochwürden Helvetico selbst sagen. Wo hast du deine Maske? Hochwürden sprach von einer Maske, die du ständig trägst.«
    »Das geht euch nichts an!«
    »Hoho, das Vögelchen wird frech«, höhnte der Erste und wollte mich in die Kutsche stoßen, doch eine Stimme hielt ihn auf.
    »Guten Morgen, meine Söhne, ich sehe, ihr seid nicht auf dem Weg zu Gott?«
    Die Stimme gehörte Pater Edoardo.
    Er schien auf dem Weg nach San Rocco, seiner Kirche, denn er trug schon den vollen liturgischen Aufzug mit violettem Talar, Chorhemd und goldverbrämtem Zingulum. Seine Erscheinung war so eindrucksvoll, dass selbst die hartgesottenen Halunken einen Augenblick innehielten. »Haltet uns nicht auf, Vater«, sagte der Erste. »Wir machen nur unsere Arbeit.«
    »Was ist das für eine Arbeit, die euch von eurem Weg zu Gott abhält?« Pater Edoardo streckte beiden gebieterisch seine Rechte entgegen, so dass sie nicht umhinkonnten, von mir abzulassen und seinen Ring zu küssen. Bevor sie antworten konnten, sprach er weiter: »Ihr seid Söhne der Kirche, doch ihr scheint das Haus Gottes zu meiden. Schande über euch.«
    »Vater, wir haben Befehl, diese Ketzerin der Inquisition zuzuführen. Der Befehl kommt von Hochwürden Helvetico persönlich, in Absprache mit Girolamo Menghi, den Ihr wohl kennen mögt.«
    Pater Edoardo richtete sich zu voller Größe auf. »Ich kenne Gott und die Welt und darf mich rühmen, auch den Genannten schon begegnet zu sein. Uns verbindet der gleiche Glaube und der gleiche Geist. Es ist der Heilige Geist, dessen Symbol der unsichtbare Wind, das fließende Wasser oder das

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