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Die Medica von Bologna / Roman

Die Medica von Bologna / Roman

Titel: Die Medica von Bologna / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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Denkt daran, dass morgen am Sonntag das Pfingstfest gefeiert wird. Fünfzig Tage nach der Auferstehung des Herrn. Er hat uns Menschen damit Trost und Hoffnung geben wollen, denn er ist gestorben, damit wir leben. Auch Latif wird leben, ich spüre es.«
    »Danke, Signora«, sagte ich. »Ihr findet gute Worte, um mich aufzurichten, aber wenn Ihr erlaubt, würde ich mich gern schlafen legen. Zeigt mir nur irgendwo einen Platz, ich will Euch keine Umstände machen.«
    Sie wies mir eine geschützte Stelle in der Nähe des Feuers zu und händigte mir einige Schaffelle aus. »Ich hoffe, das genügt Euch?«
    »Gewiss, gute Nacht.«
    »Gute Nacht, Signorina Carla.«
    Sie entfernte sich, und ich hörte sie noch einige Zeit im Haus hin und her laufen, bis Ruhe einkehrte. Voll bekleidet legte ich mich hin und deckte die Schaffelle über mich. Sie waren sehr warm. Ich begann zu schwitzen und schob sie beiseite. Kaum hatte ich sie fortgelegt, wurde mir kalt. Abermals bedeckte ich mich mit ihnen, und dasselbe wiederholte sich. Ich haderte mit mir, dass ich in einer Situation wie dieser keine anderen Sorgen zu haben schien als ein unbequemes Lager. Ich betete zu Gott und bat Ihn um Verzeihung dafür. Ich sprach lange mit Ihm und schüttete Ihm mein Herz aus, ich gestand meine Fehler und Versäumnisse ein und erflehte Seine Barmherzigkeit. Immer wieder bat ich Ihn, er möge alles zum Guten wenden, und als ich mein Amen endlich gesagt hatte, fühlte ich mich etwas erleichtert.
    Doch schlafen konnte ich nicht. Zu vieles ging mir im Kopf herum. Ständig dachte ich an Latif. Ich fragte mich, ober er noch am Leben sei, wie es ihm erging und was er wohl gerade machte. Ich wälzte mich auf dem ungewohnten Lager hin und her und hörte die Geräusche der Nacht. Ich betete wieder und versuchte erneut, einzuschlafen. Doch je mehr ich mich darum bemühte, desto wacher wurde ich. Ich lag nur da und war ein menschliches Bündel aus Angst und Not.
    Gegen Morgen fasste ich einen Entschluss. Ich musste fort. So gut Signora Mezzini es mit mir meinte, ich hielt es bei ihr nicht länger aus.
    Da sie eine fleißige Frau war, hörte ich sie bereits auf dem Hof hantieren. Den plätschernden Geräuschen nach holte sie Wasser aus dem Brunnen herauf. Wahrscheinlich würde sie es jeden Moment hereintragen, um es über dem Feuer zu erhitzen und eine Morgensuppe zu kochen.
    Dann wollte ich fort sein.
    Ich hätte der guten Frau gern eine Nachricht hinterlassen, aber ich war sicher, dass sie weder lesen noch schreiben konnte. »Verzeiht mir, Signora«, murmelte ich, während ich mich leise aus der Tür stahl. »Wahrscheinlich liegt es an mir, aber ich finde keine Ruhe in Eurem Haus. Ich kann nicht bleiben. Macht Euch nicht allzu viele Sorgen um mich.«
    Als ich auf die Straße trat und die frische Morgenluft einatmete, fühlte ich mich gleich besser. Die dunklen Gedanken der Nacht hellten sich mit dem Tageslicht auf, und alles sah ein wenig rosiger aus.
    Latif war findig, sagte ich mir. Er konnte reden, bis einem der Kopf schwindelig wurde. Vielleicht gelang es ihm auf diese Weise, seine Harmlosigkeit überzeugend darzustellen. Außerdem war er ein Muslim. Konnte ein Muslim überhaupt ein Ketzer sein? Und selbst wenn: War nicht auch ein gewisser Martin Luther in der deutschen Stadt Worms als Ketzer bezeichnet und anschließend gerettet worden?
    Solche und ähnliche Gedanken schossen mir durch den Kopf, während ich meine Schritte zur Strada San Felice lenkte. Erst kurz vor meinem Haus wurde mir bewusst, wohin ich gegangen war, aber ich sagte mir, es könne nicht schaden, nach der durchwachten Nacht die Kleider zu wechseln.
    Andererseits war Latif erst gestern in meinem Haus verhaftet worden.
    Ich schaute auf die mir so vertrauten Mauern und hatte Mühe, mir das vorzustellen, denn mir bot sich ein Bild des Friedens dar. Ein Hund döste unter der Pinie zur Linken, und Spatzen zwitscherten im Efeu der Fassade. Ich trat ein und schaute mich um. Alles war an seinem Platz. Nichts schien auf die Entführung Latifs hinzudeuten.
    Doch dann sah ich ihn: den Gebetsteppich Latifs.
    Er war rot, schwarz und ockerfarben, und er lag in der Ecke, wo er immer lag, wenn mein Diener Zwiesprache mit Allah hielt. Der Teppich war ein nach allen Regeln der Kunst verzierter Kelim aus Bursa, dessen wichtigster Teil eine Abbildung jener besonderen Nische ist, die in der Moschee die Richtung nach Mekka weist. Verziert war das Prachtstück mit umlaufenden Rosenornamenten und zwei Wasserkannen

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