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Die Medica von Bologna / Roman

Die Medica von Bologna / Roman

Titel: Die Medica von Bologna / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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abzuschütteln.«
    »Genau das meine ich auch. Ich dachte mir, du könntest mir vielleicht helfen, sie aufzuschneiden. Es gibt in Casali zwar einen Bader, den ich auch fragen könnte, aber der Bursche hat Preise wie ein Halsabschneider.«
    »Ich werde dir helfen«, sagte ich. »Sei morgen um dieselbe Zeit wieder hier.«
    »Aber warum erst morgen?«
    »Weil man den Schnitt, den du machen willst, nicht mit einem Küchenmesser vornehmen kann.«
    Am anderen Tag öffnete ich Boccos Geschwulst, ein Vorgang, den das Grautier stoisch über sich ergehen ließ, und präparierte die Wucherung mit dem Skalpell heraus. Wie sich zeigte, handelte es sich um eine harmlose Fettgeschwulst, und das sagte ich Tasco auch.
    »Ich danke dir, Maria«, meinte er. »Du hast die Sache erledigt, als wäre sie nichts. Es sieht fast so aus, als hättest du so was schon öfter gemacht.«
    »Vielleicht ja, vielleicht nein. Hier oben in den Bergen ist so etwas unwichtig.«
    »Da hast du recht, ich frage zu viel. Was brauchst du bei unserem nächsten Treff? Du hast was bei mir gut.«
    »Lass Bocco Feuerholz für uns herauftragen, daran mangelt es uns am meisten.«
     
    Man sagt, ein Mensch würde eher verdursten als verhungern, aber wie Latif und ich leidvoll erfuhren, kann er auch überaus schnell erfrieren. Die eisigen Tage und Nächte des Winters von 1584 auf 1585 lehrten uns, dass der Kälte nur gemeinsam zu trotzen war. Wir konnten uns keine zwei Feuer leisten, sondern mussten, des geringen Brennmaterials wegen, mit nur einem auskommen. Auch mein anfänglicher Wunsch, unsere Schlafplätze diesseits und jenseits des Feuers einzurichten, ließ sich nicht lange aufrechterhalten. Es war einfach zu kalt. Wir mussten unsere Körper aneinanderdrängen, um uns gegenseitig zu wärmen, wobei Latif mir sicherlich mehr Geborgenheit gab als ich ihm. Dafür rettete ich ihm einmal die Zehen, die nach einer längeren Wanderung nahezu abgefroren waren. Ich hieß ihn, sich auf dem Boden niederzulassen und die Beine vor sich waagerecht in die Luft zu strecken. Dann setzte ich mich ihm gegenüber hin und nahm seine nackten Zehen in die Beuge meiner Achseln – denn die Achseln gehören zu den wärmsten Stellen am ganzen Körper.
    Latif litt große Schmerzen, als seine Füße langsam auftauten, aber dank meiner ungewöhnlichen Maßnahme konnte ich alle seine Zehen retten.
    Manches Mal, wenn wir eng aneinandergeschmiegt in unseren Decken lagen, fragte ich mich, ob wir ein Paar wären, eine Frau und ein Mann, die einander in Liebe zugetan sind, doch jedes Mal fühlte ich nur eine große Vertrautheit. Ob es bei Latif mehr war als das, weiß ich nicht. Wir sprachen niemals darüber.
    Sobald der Frühling die Kraft des Winters gebrochen hatte, traten wir bei jeder sich bietenden Gelegenheit nach draußen und sogen tief die warme, milde Luft ein. Überall grünte und sprießte es jetzt auf den Hochwiesen. Die mächtigen Buchenwälder in der Ferne zeigten die ersten Blätter, und der Nebenarm der Nera, der wenige Dutzend Schritte entfernt zu Tal floss, war endlich eisfrei.
    Mensch und Natur atmeten auf. Latif und ich schmiedeten Pläne, wie wir uns auf Dauer einrichten könnten, und die handwerklichen Fähigkeiten meines Dieners kamen zum Einsatz, indem er für uns einfache Tische und Sitzmöbel zimmerte. Sogar ein Bett baute er für mich und für sich. Material und Werkzeug hatte der brave Tasco zu uns heraufgeschafft.
    Im Mai grasten in unserer Nähe eine Ziege und ihr Zicklein, die schnell zutraulich wurden und fortan unser Leben teilten. Die Ziege lieferte ein wenig Milch, was eine willkommene Abwechslung auf unserem Speisezettel war.
    Wenig später begann ich, Kräuter auf den Wiesen und an den Waldrändern zu sammeln und daraus Arzneien herzustellen. Die Medikamente benutzte ich, um Nahrung und sonstige Notwendigkeiten bei Tasco einzutauschen. Auf diese Weise lernten wir uns immer besser kennen, unser Verhältnis wurde sehr vertraut, doch wo unser Höhlenversteck lag, verriet ich ihm nie. Andererseits war Tasco ein feinfühliger Mensch, der die Dinge nahm, wie sie waren, und nicht allzu viele Fragen stellte.
    Eines Tages jedoch wunderte er sich, als ich ihn bat, bei unserem nächsten Treffen ein paar Säcke mit Linsensamen mitzubringen.
    »Nanu, Maria?« Er lachte mit seinen tausend Fältchen. »Wird die Medizinfrau jetzt zur Bauersfrau?«
    »So ungefähr«, sagte ich. »Latif hat bei einem seiner Streifzüge eine verlassene Hütte entdeckt, vielleicht drei oder

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