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Die Medica von Bologna / Roman

Die Medica von Bologna / Roman

Titel: Die Medica von Bologna / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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bin an Eurer Seite, Herrin.«
     
    Wir gingen nach Forcella und trafen in der Nähe auf einen reißenden Gebirgsbach namens Nera. An seinem Ufer übernachteten wir, und zum ersten Mal während unserer Flucht froren wir jämmerlich, obwohl wir ein Feuer gemacht hatten und unter Decken und dichtes Laub gekrochen waren. Am anderen Morgen sagte Latif zu mir: »Herrin, so geht es nicht weiter. Es ist schon Oktober, der Winter steht vor der Tür. Wo sollen wir hin, wenn es erst richtig kalt wird? Wir brauchen ein festes Dach über dem Kopf.«
    »Ich möchte noch höher in die Berge«, sagte ich. »Dieser Bruder Sebastiano hat uns durchschaut. Er weiß, dass wir keine Bauersleute sind. Je mehr Meilen zwischen ihm und uns liegen, desto besser.«
    Latif legte dürre Zweige auf die Reste der Glut und blies hinein, um das Feuer anzufachen.
    »Vielleicht ist das so, Herrin, vielleicht auch nicht. Der Mann scheint recht vernünftig zu sein, obwohl er mich gesegnet hat.«
    »Willst du darauf vertrauen, dass er seine Begegnung mit uns verschweigt?«
    »Warum nicht? Ich könnte uns hier in der Nähe eine Hütte bauen.«
    »Und wenn er nachforscht und erfährt, dass ich bis vor wenigen Monaten als Medica gearbeitet habe?«
    »Nun ja, Eure Hilfe mit dem Stützverband war vielleicht doch etwas unbedacht, Herrin.«
    »Genauso unbedacht war es von dir, den Wanderstab wegzugeben.«
    »Ja, Herrin. Die Suppe ist gleich heiß. Soll ich uns etwas Wurst hineinschneiden?«
    »Ich denke, du als Muslim isst keine Wurst?«
    »Ich esse um die Wurst herum, Herrin.«
    Nachdem wir unser karges Mahl beendet und unsere Habe wieder verstaut hatten, fragte Latif noch einmal: »Wollen wir nicht hierbleiben, Herrin?«
    »Nein«, sagte ich, »ich will weiter. Außerdem: Wie willst du mit bloßen Händen Bäume fällen und Bretter sägen?«
    »Aber wohin wollt Ihr denn, Herrin?«
    »Flussaufwärts will ich, zur Quelle der Nera.«
     
    Eine Woche später hatten wir ein armseliges Nest erreicht, das von den Einheimischen Casali genannt wurde. Keine fünfzig Menschen lebten dort, wie wir von einem wandernden Händler erfuhren. Sein Name war Tasco, und er hatte ein Gesicht, das bei jedem Lachen in tausend Fältchen zersprang. »In Casali ist der Hund begraben«, verriet er uns, »die Leute, die dort leben, sind von aller Welt abgeschieden. Aber sei’s drum, für mich ist das ganz gut, weil ich ihnen sonst nicht viel verkaufen könnte. Wollt ihr in Casali bleiben?«
    »Vielleicht«, antwortete ich unbestimmt. »Was hältst du denn so alles feil?«
    Tasco lachte und wies auf sein Grautier, das einen hochbeladenen Wagen hinter sich herzog. »Es gibt nichts, was Tasco Bariello nicht dabeihätte. Was braucht ihr, Leute?«
    Latif sagte: »Wir brauchen Handwerkszeug, um ein Haus zu bauen, Holz, Mörtel, Ziegel und vielerlei mehr. Ich glaube kaum, dass du so etwas hast.«
    »Wollen wir uns nicht setzen, Leute? Ihr seht aus, als könntet ihr eine kleine Rast vertragen.« Tasco schirrte den Esel aus und hängte ihm einen Futtersack vors Maul. Dann holte er eine Decke vom Wagen, breitete sie aus und ließ sich nieder. Nachdem wir seinem Beispiel gefolgt waren, sagte er zu Latif: »Da hast du recht, mein Freund, Baumaterial habe ich nicht bei mir. Wozu auch? Wer hier wohnt, hat bereits ein Haus, und wer hierherziehen möchte, der nimmt sich eins von den unbewohnten. Doch es zieht niemand hierher, weil hier, wie ich bereits sagte, der Hund begraben ist. Die Alten erzählen, dass vor undenklichen Zeiten ein paar Vertriebene in den Höhlen oben gehaust haben, und es gibt auch ein Märchen, das besagt, eine der Sibyllen hätte sich in der Grotta delle Fata versteckt, nachdem sie aus der Unterwelt vertrieben worden war. Aber das sind sicher nur Hirngespinste. Da oben ist keine Menschenseele mehr. Wenn’s anders wäre, müsste ich’s wissen, niemand kennt sich hier besser aus als ich.«
    »Wie hieß die Höhle, in der die Sibylle gelebt haben soll?«, fragte ich.
    »Grotta delle Fata.«
    »Feengrotte, das klingt hübsch.«
    »Ja, ja, sie soll recht beeindruckend und auch recht groß sein, aber sie ist nicht die einzige, so sagt man. Genau weiß ich es nicht, weil ich noch nie dort war. Warum auch, da oben kreisen nur die Adler, und ein paar wilde Ziegen fristen dort ihr Dasein.«
    »Auch das klingt hübsch.«
    Tasco sah mich verständnislos an. Dann zersprang sein Gesicht in tausend Fältchen, und er sagte zu mir: »Es scheint dir hier oben in den Bergen zu gefallen. Man nennt

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