Die Medica von Bologna / Roman
exorzistischen Wahn, aber auch an seine Wandlung, die er in späteren Jahren durchgemacht hatte, an seine Reue und an seine Geistesgegenwart, mit der er mich vor den Häschern der Inquisition bewahrt hatte. Ich dachte an Conor, Fabio und die anderen Bettler, die mir zu Freunden geworden waren, und ich fragte mich, ob sie ein neues Haus gefunden hatten und vielleicht sogar eine neue Ärztin.
An alles das dachte ich, und im rosigen Licht der Erinnerung kam mir das Schöne noch schöner und das Schlimme viel weniger schlimm vor.
Es hielt mich nicht mehr in meiner Höhle. Ich ging hinaus, um mir die Beine zu vertreten und auf andere Gedanken zu kommen. Der Himmel war hoch und blau, Vögel zwitscherten in der Ferne, kleine Wolken lagen wie weiße Tupfer auf den Bergspitzen. Ich lief hinüber zum Bach und folgte ihm gedankenschwer. Irgendwann bückte ich mich und trank von dem klaren, köstlichen Wasser.
Als ich mich wieder aufrichtete, blickte ich in ein bekanntes Gesicht. Es war das Gesicht von Bruder Sebastiano. Er stützte sich auf den Wanderstab, den ihm Latif bei unserer ersten Begegnung überlassen hatte, und sagte: »Gott zum Gruß, Maria, ich wollte Euch nicht erschrecken.«
»Fast ist es Euch gelungen.« Ich schaute zur Seite, denn seit Latif und ich in der Grotta delle Rifugio wohnten, überschminkte ich mein Feuermal nicht mehr.
Bruder Sebastiano ließ sich im Gras nieder und legte den Wanderstab neben sich. »Bitte, verzeiht mir, vielleicht hätte ich mich doch bemerkbar machen sollen. Setzt Euch und zeigt mir ruhig Euer Gesicht. Ihr seid nicht die Einzige auf Gottes weiter Welt, die ein Feuermal trägt.«
Zögernd setzte ich mich zu ihm, doch weil ich ihm so nah war, mochte ich ihn noch immer nicht ansehen. Ihn schien das nicht zu stören, denn er warf Steinchen in den munter dahinfließenden Bach und sagte nach einer Weile: »Ich nehme an, Maria, das Feuermal hat Euch im Leben eine Reihe wenig schöner Momente beschert?«
Ich schwieg.
»Ich meine jenes Leben, das Ihr führtet, bevor Ihr in diese Bergwelt kamt?«
Da ich noch immer nicht antwortete, fuhr er fort: »Worte können sehr verletzen, deshalb möchte ich Euch versichern, dass mich Euer Gesichtsmal keinesfalls stört. Es ist für mich eine Hautveränderung, mehr nicht. Vergleichbar mit einer Sommersprosse oder einem Leberfleck.«
»Ihr seid sehr höflich.«
»Ich sage nur die Wahrheit. Und ich sage sie umso lieber, als nicht alle meine Glaubensbrüder diese Meinung vertreten. Es ist vielmehr so, dass die meisten ziemlich verblendet sind. Alles, was einen Menschen aus der Normalität hebt, grenzt für sie an Ketzerei. So ist zu hören, dass in Rom wieder über Hexenverbrennung geredet wird, seit Seine Heiligkeit, der Papst, den Erzbischof von Trier empfing – einen Mann, dessen ›gottgefälliges‹ Werk es war, in zwei Dörfern seiner Diözese alle rothaarigen Frauen als Hexen verbrennen zu lassen.«
Ein Schauer lief mir über den Rücken. »Ihr … Ihr seid nicht nur höflich, sondern auch sehr offen, Bruder Sebastiano.«
»Ja, Maria, das bin ich, und daran wird sich auch nichts ändern. Ich bin es mir selbst schuldig.« Er lachte leicht. »Aber ich wollte Euch nicht mit Greuelgeschichten erschrecken. Rom ist weit.«
»Gewiss«, sagte ich. »Ihr habt mich nicht erschreckt.« In Wahrheit aber zitterte ich innerlich wie Espenlaub.
»Es ist weit über zwei Jahre her, dass wir uns gesehen haben. Wie ist es Euch und Eurem Mann in der Zwischenzeit ergangen?«
»Latif ist nicht mein Mann.«
»Aber Ihr lebt mit ihm zusammen?«
»Ja, warum nicht?«, entgegnete ich trotzig. Mochte der Gottesmann denken, was er wollte. Doch zu meiner Überraschung sagte er: »Der Mann, der nicht Euer Ehemann ist, ist ein glücklicher Mann, denn er hat eine schöne Frau. Er war mir bei unserer ersten Begegnung sehr behilflich, indem er mir den Wanderstab als Stütze überließ. Hier, nehmt ihn zurück, mit einem herzlichen Dank an ihn.«
»Behaltet den Stab. Wir brauchen ihn nicht.«
»Ich aber auch nicht. Vielleicht nehmt Ihr den Stab beim nächsten Mal?«
»Beim nächsten Mal?«
»Wenn wir uns wiedersehen. Ich meine, es ist doch nicht ausgeschlossen, dass Ihr häufiger diese Stelle am Bach aufsucht? Vielleicht geschieht es in einer Woche wieder?«
Statt einer Antwort erhob ich mich. »Ich muss jetzt gehen, Bruder Sebastiano.«
»Nennt mich doch einfach Sebastiano! Ich sage doch auch Maria zu Euch.«
»Nun gut … Sebastiano. Wie gesagt, ich muss
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