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Die Medica von Bologna / Roman

Die Medica von Bologna / Roman

Titel: Die Medica von Bologna / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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Nadel mittlerer Größe. Als Marco sie mir gab, konnte ich es mir nicht verkneifen zu sagen: »Du hättest wenigstens schon mal den Zwirn einfädeln können.«
    »Aber ich wusste doch nicht, welche Nadelgröße du willst.«
    Ich erwiderte nichts, aber während ich den Faden aufzog und an seinem Ende einen Knoten machte, dachte ich: Wenn du richtig bei der Sache gewesen wärst, mein lieber Marco, hättest du vorsorglich auf alle Nadeln einen Faden gezogen.
    Behutsam führte ich den ersten Stich durch. Es ging leichter als erwartet. »Ist es auszuhalten, Mamma?«
    »Ja, Kind, ja …«
    Während ich weiterarbeitete, schoss mir durch den Kopf, dass mir der erlernte und oftmals mit Abneigung ausgeübte Schneiderberuf zum ersten Mal wirklich zugutekam. Ein warmes Gefühl durchströmte mich. Es war überaus befriedigend, helfen zu können. Bald darauf war ich fertig. Ich verknotete die Naht und gab Marco Nadel und Faden zurück. Anschließend griff ich noch einmal zur Salbe und bestrich damit die Wunde. »Würdest du einen Verband anlegen oder Luft an die Wunde kommen lassen?«, fragte ich Marco.
    »Äh, ich weiß nicht.«
    Eine solche Antwort hatte ich schon fast erwartet. Ich dachte kurz nach und sagte dann: »Ich werde die Wunde verbinden, die anderen habe ich ja auch verbunden.«
    »Ja«, sagte Marco, »das stimmt.«
    Wenig später ging er.
     
    Am nächsten Tag klagte meine Mutter über Durst. Ich musste mehrmals hinter das Haus gehen, wo sich eine kleine Zisterne befand. Da das kalte Wetter anhielt, war die Wasseroberfläche dick vereist. Ich hatte erhebliche Mühe, das Eis zu durchschlagen, um an das begehrte Nass zu kommen. Ich wünschte mir, Marco wäre da. Aber Marco ließ sich nicht sehen.
    Neben dem Wasser nahm ich jedes Mal etwas kleingehacktes Eis mit, schlug es in ein Tuch und drückte es meiner Mutter vorsichtig an die Schläfen. »Tut das gut, Mamma?«
    »Ja, meine Kleine, sehr gut.«
    »Du hast Fieber, Mamma.«
    »Ach, das bisschen Fieber. Kann ich noch etwas Wasser haben?«
    »Warte, ich hole noch einen Becher.« Während ich ihr das Wasser einflößte, merkte ich, wie meine Mutter unruhig wurde. »Was ist, Mamma?«
    »Ach …«
    »Mamma?«
    »Es ist nur … ich muss schon wieder.«
    »Das ist doch kein Wunder bei den Mengen, die du trinkst.« Ich ging, um das Nachtgeschirr auszuleeren, und half ihr anschließend, sich darauf niederzuhocken. Sie war wirklich sehr schwach. Als ich sie wieder ins Bett gebracht und zugedeckt hatte, wurde mir plötzlich klar, wie viel Freude ich dabei empfand, helfen zu können. Es waren nur einfache Handgriffe, die ich verrichtete, aber sie bewirkten viel.
    Am Nachmittag kochte ich eine Hühnersuppe, aber meine Mutter sagte, sie hätte keinen Appetit.
    »Gut, Mamma, dann isst du sie morgen«, sagte ich.
     
    Einen weiteren Tag später war das Fieber nochmals gestiegen. Ich legte meine Hand an den Hals meiner Mutter und sagte zu ihr: »Du glühst, Mamma.«
    »Ach … halb so schlimm.«
    »Ich gebe dir von dem heißen Weidenrindentrank.« Ich war froh, über das Pulver des
Salix-
Baums zu verfügen; es war ein Geschenk von Signora Carducci, die am Morgen extra in eine
farmacia
gegangen war, um die Arznei zu besorgen. Bei der Gelegenheit hatte ich sie nach ihrem Sohn gefragt, und sie hatte geantwortet: »Ach, Carla, ich sehe ihn in letzter Zeit so selten. Wenn er nicht im Archiginnasio ist, steckt er in der Wohnung des Onkels, oder er ist bei einem der vielen Feste seiner Studentenkameraden.«
    »Danke, Signora«, hatte ich gesagt. »Vielleicht kommt er ja später noch.«
    Aber Marco kam nicht.
     
    Am dritten Tag sagte ich mir, dass es Zeit sei, die Verbände zu wechseln. Ich nahm sie vorsichtig ab, aber offenbar nicht vorsichtig genug, denn meine Mutter verzog vor Schmerzen das Gesicht.
    »Tut mir leid, Mamma.«
    »Ach, Kind …«
    Ich betrachtete die Wunden, und was ich sah, machte mir Sorgen. Die Verletzungen waren an den Rändern stark angeschwollen und dunkel verfärbt. Besonders die von mir genähte, lange Risswunde sah bedenklich aus. Wenn mich nicht alles täuschte, saß Eiter darin. Da ich aber meine Mutter nicht beunruhigen wollte, sagte ich nichts. Ich wünschte mir nur, Marco würde endlich kommen. Dass er sich mehrere Tage hintereinander nicht sehen ließ, war noch nie da gewesen.
    Später bat ich meine Mutter um die Adresse von Doktor Valerini, aber sie hörte mich nicht. Das Fieber war erneut gestiegen, so schien mir. Mittlerweile war ich so besorgt, dass

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