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Die Medica von Bologna / Roman

Die Medica von Bologna / Roman

Titel: Die Medica von Bologna / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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fort.«
    »Aber der Kutscher muss doch gemerkt haben, was er angerichtet hat! Er kann doch nicht einfach weitergefahren sein. Wie sah die Kutsche denn aus?«
    »Ich weiß es nicht. Es ging alles so schnell.«
    »Gut, Mamma. Es ist im Moment auch nicht wichtig. Ruh dich nur aus. Wenn du etwas brauchst, ruf mich.«
    »Ja, meine Kleine.«
     
    Später am Tag erschien Marco, worüber ich heilfroh war, denn ich dachte, als Medizinstudent könne er mir guten Rat bei der Behandlung geben. Doch zu meiner Überraschung wusste er wenig zu sagen. Auch nahm er die Wunden meiner Mutter nur recht flüchtig in Augenschein.
    »Ich habe die kleineren Schnittverletzungen mit Salbe versorgt und verbunden«, sagte ich zu ihm, »aber der große Riss in der Stirn muss wohl genäht werden.«
    »Ja«, sagte er, »sicher.«
    »Meinst du, du könntest es machen?«
    »Äh, gewiss. Aber wenn ich es recht bedenke, sollten wir dafür lieber einen Arzt holen.«
    »Aber du bist doch Arzt. Jedenfalls ein angehender. Und Schuhmacher bist du auch. Vom Nähen verstehst du etwas.«
    »Genauso viel wie du als Schneiderin.«
    »Was willst du damit sagen?«
    »Ach, nichts.«
    Ich schaute ihn an, aber er vermied meinen Blick. Mir wurde klar, dass etwas mit ihm nicht stimmte, mehr noch, dass er sich womöglich vor der Hilfeleistung drücken wollte. Das wunderte mich, denn es passte nicht zu seinen schwärmerischen Erzählungen über die Sektionen des Professors Aranzio. »Nun gut«, sagte ich, »dann geh bitte und hole Doktor Valerini, er wohnt ganz in der Nähe.«
    An dieser Stelle mischte sich meine Mutter mit schwacher Stimme ein: »Nein, bitte, keinen Arzt. Das ist viel zu teuer. Morgen geht es mir wieder gut.«
    »Aber, Mamma, die lange Risswunde auf der Stirn muss genäht werden, sonst heilt sie nicht.«
    »Ach, die dumme Wunde.«
    Ich verharrte unschlüssig und blickte Marco nochmals an. »Und du willst es wirklich nicht versuchen?«
    »Ich bin noch nicht so weit mit dem Studium, Carla, glaub mir. Die praktischen Tätigkeiten kommen erst später.«
    »Aber du hast mir doch selbst erzählt, dass ihr Studenten die Leichen nach dem Zergliedern wieder zunäht?«
    »Ja, ja, richtig, aber das ist etwas anderes, glaub mir. Am besten, ich hole jetzt den Doktor.«
    »Nein, keinen Arzt«, murmelte meine Mutter.
    Ich musste mich beherrschen, um nicht mit dem Fuß aufzustampfen. Ich war wütend, und ich war enttäuscht von Marco, den ich bislang ganz anders kennengelernt hatte. »Ehe wir noch weiter herumreden, werde ich es machen.«
    »Carla, bitte.« Marco versuchte es noch einmal. Er wandte sich an meine Mutter und sagte: »Soll ich nicht doch den Doktor holen, Signora, so teuer kann das Vernähen einer Wunde doch nicht sein.«
    Bevor sie antworten konnte, sagte ich: »Ich mache es, und damit Schluss.« Ich ging hinüber zu meinem Nähzeug, das ich gerade für den Umzug zusammengepackt hatte, und blieb etwas ratlos davor stehen. Ich hatte keine Vorstellung davon, wie die Beschaffenheit der Gegenstände, die ich brauchte, sein musste, doch der Gedanke, die unregelmäßigen Wundränder seien wie ausgefranste Stoffränder, die ich wieder zusammenfügen wollte, half mir weiter. Ich wählte eine kleine scharfe Schere und mehrere gebogene Nadeln. Beim Faden entschied ich mich für Zwirn, denn er ist rissfester als normales Garn.
    »Ich werde eine einfache überwendliche Naht setzen«, sagte ich zu Marco. »Glaubst du, die ist richtig?«
    »Ich denke schon.«
    »Gut.« Auf einem Beistelltisch breitete ich die mitgebrachten Nähutensilien aus und kniete mich neben meine Mutter. »Mamma, kannst du mich hören?«
    »Ja … meine Kleine.«
    »Ich fange jetzt an.« Ich griff zur Schere, um die Wundränder zu begradigen und hielt inne. Ich merkte, dass meine Rede forscher gewesen war als meine Hand. Es war ein großer Unterschied, ein Stück Stoff oder ein Stück lebendes Fleisch zu bearbeiten. Doch dann sagte ich mir, dass ich jetzt nicht mehr zurückkönne. Ich dachte an Marco, der die Möglichkeit hatte, Medizin zu studieren, und daran, dass diese Möglichkeit mir verwehrt war, und eine Art Trotz bemächtigte sich meiner. Jetzt gerade, sagte ich mir, ich werde dem Herrn Medizinstudenten zeigen, dass ich etwas kann, was er nicht zuwege bringt.
    Mit ruhigen Bewegungen führte ich die kleine Schere. »Tut das weh, Mamma?«
    »Nein …«
    »Gut, Mamma.« Ich reichte Marco die Schere, damit er sie beiseitelege, tupfte vorsichtig die Wundränder ab und bat um eine gebogene

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