Die Medica von Bologna / Roman
findet sich.« Seine Hand wanderte an meiner Seite empor, aber ich drückte sie hinunter. »Ich wollte mit dir noch über etwas anderes sprechen.«
»Über etwas anderes? Was kann wichtiger sein als unsere Hochzeit?«, scherzte er.
»Es geht um einen Bettler, den ich die letzten Tage in San Lorenzo betreut habe.« Ich erzählte ihm von Conor und seiner Nasenoperation. Ich versuchte, alle Befunde und Begleiterscheinungen so genau wie möglich zu schildern, und fragte dann: »Hältst du es für möglich, dass seine Nase völlig wiederhergestellt werden kann?«
»Ich kenne Conor«, sagte Marco und unternahm einen weiteren erfolglosen Versuch, seine Hand in die Nähe meiner Brüste zu schieben. »Und seinen Raben kenne ich auch. Jedermann, der häufiger in der Stadt ist, kennt die beiden.«
»Ich fragte dich, ob es möglich ist, eine menschliche Nase aus dem Lappen eines Arms zu rekonstruieren.«
»Nun ja, das ist es wohl. Professor Aranzio steht in dem Ruf, solche Operationen durchzuführen. Allerdings hatte ich noch nie die Gelegenheit, dabei zuzusehen, dafür macht er es zu selten. Soviel ich weiß, besteht das Verfahren aus vielen einzelnen Schritten, und langwierig ist es auch.«
»Und wie sieht das Ergebnis aus?«
»Ich weiß es nicht. Ich habe noch nie eine rekonstruierte Nase gesehen.« Marco begann zu grinsen. »Aber so hübsch wie deine Nase kann keine noch so gut geflickte sein.«
Ich ging nicht auf seinen Scherz ein. »Meine Nase ist linksseitig von der
voglia di vino
überdeckt. Aber wenn du schon über meine Nase sprichst: Hältst du es für möglich, dass ein guter Operateur das Feuermal abtragen könnte? Ich meine, wenigstens teilweise, und wenn ja, würde darunter reine, normale Haut nachwachsen?«
Marco runzelte die Stirn. Ob er nachdachte oder nur so tat, weiß ich nicht, aber nach kurzer Überlegung sagte er: »Ich habe neulich in einer Vorlesung des Professors gehört, dass es insgesamt vier verschiedene Arten von Haut gibt, und alle sollen sich zur Transplantation eignen. Welche es im Einzelnen waren, weiß ich nicht mehr genau, weil ich nicht mitgeschrieben habe. Aber ich erinnere mich, dass die geeignete Art diejenige sein soll, die möglichst wenig behaart ist und nicht durch Muskeln bewegt wird. Auch darf sie nicht so fest anliegen wie in der Innenfläche der Hand oder in der Fußsohle. Dasselbe gilt für die Stirn, weil sie eng mit dem
Musculus frontalis
verbunden ist. Tatsächlich scheint sich die Haut des Oberarms am besten zu eignen.«
Ich hatte seinen Ausführungen interessiert zugehört. Doch sie waren mir zu ungenau. Und meine Frage hatte er auch nicht beantwortet. »Du weißt also nicht, wie gut sich eine Stelle regenerieren kann, von der eine Schicht Haut abgetrennt wurde?«
»Nein, aber ich glaube, es hängt auch von der Dicke der abgetrennten Schicht ab.«
Das leuchtete mir ein. Trotzdem fand ich Marcos Antworten unbefriedigend. Was lernte er eigentlich im Archiginnasio, wenn er mir so einfache Fragen nicht beantworten konnte? »Gibt es Literatur zu diesem Thema?«
»Nicht, dass ich wüsste. Komm, Carla, lass uns von etwas anderem reden.«
»Gut, dann habe ich eine andere Frage: Hat schon einmal eine Frau bei euch am Archiginnasio studiert?«
Marco lachte. »Wie kommst du denn auf eine so abwegige Idee?«
»Wieso abwegig? Meinst du, Frauen wären zu dumm zum Studium? Meinst du, ich wäre zu dumm zum Studium?«
»Nein, nein, natürlich nicht«, beeilte er sich zu versichern. »Aber …«
»Was aber?«
»Aber es ist nicht möglich. Jedenfalls nicht bei uns im Studium der Freien Künste.« Marco trank einen Schluck Wein und dachte wohl, das Thema sei damit erledigt, aber so leicht wollte ich ihn nicht davonkommen lassen. »Wenn es im Studium der Freien Künste nicht möglich ist, gibt es vielleicht noch ein anderes Studium, das uns Frauen offensteht? Und was heißt überhaupt ›Freie Künste‹? Du studierst doch Medizin, was hat die Medizin mit Freien Künsten zu tun?«
Marco seufzte und machte ein Gesicht, als sei ich die Begriffsstutzigkeit in Person. »Wir haben in Bologna am Archiginnasio zwei Universitäten, die auch Studium genannt werden. Das eine Studium steht für die Freien Künste, also Grammatik, Rhetorik, Geometrie und so weiter, innerhalb dessen auch die Medizin gelehrt wird, das andere Studium steht für die Jurisprudenz, also für das Recht. Selbst wenn du als Frau das andere Studium besuchen dürftest, würde es dir nichts nützen, da du an der
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