Die Medica von Bologna / Roman
einigermaßen sicher.«
»Ich verspreche es.«
»Bologna ist wie ein Rad, Schwester. In der Mitte, die Nabe, das ist die Piazza Maggiore, und von der Nabe aus gehen starke Speichen bis zum Rand. Die Speichen, das sind die wichtigsten Straßen, und der Rand, das ist die Stadtmauer mit den Stadttoren. Wenn Ihr auf den Speichen geht, passiert Euch nichts. Und wenn wirklich mal was passiert, kann’s genauso gut jemand anders treffen, weil immer viele Menschen da sind. Und die meisten großen Straßen haben an beiden Seiten Arkaden, wusstet Ihr das?«
»Nein, das wusste ich nicht. Ich kenne mich in der Stadt nicht gut aus.«
»Dacht ich mir’s doch. Wenn man unter den Arkaden geht, kann’s ruhig regnen, da wird man nicht nass. Da bleibt man als armer Schlucker genauso trocken wie die Reichen in ihren Kutschen oder die Herren Bürger mit ihren Regenschirmen aus Seide. Überhaupt ist es so ’ne Sache mit den Armen und den Reichen. Von beidem gibt’s in Bologna zu viele, und dazwischen gibt’s zu wenige. Jedenfalls kommt mir’s immer so vor. Nun hab ich aber genug geredet, Schwester. Ich dank Euch für die Betreuung und werd demnächst mal den heiligen Patrick anrufen, dass er Euch vor dem bösen Blick beschützt.«
»Danke, Conor«, sagte ich gerührt.
»Aber erst mal will ich ’ne Mütze voll Schlaf nehmen, wenn’s recht ist.«
»Es ist recht.« Ich verließ den Raum und schloss leise die Tür hinter mir.
Wieder einen Tag später eröffnete mir Schwester Marta, dass Conor ins Ospedale della Morte gebracht würde. Es tat mir leid, das zu hören, denn ich hatte mich gern um ihn gekümmert und gern mit ihm geplaudert. »Warum denn?«, fragte ich.
»Soviel ich weiß, will Professor Aranzio dort die Fäden ziehen und das vorläufige Ergebnis seinen Studenten präsentieren.«
»Kann er die Fäden nicht auch hier ziehen?«
»Das könnte er wohl, aber die Behandlung wäre damit noch lange nicht abgeschlossen. Wer weiß, warum er lieber ins Ospedale geht.«
»Sind die weiteren Schritte denn so gefährlich?«
»Das kann nur der Professor beantworten. In jedem Fall ist es gut, wenn Conor ins Ospedale kommt. Denn sollte er dort sterben, stirbt er an einem Ort, wo ihm all seine Sünden automatisch erlassen sind. Der neue Heilige Vater, Gregor XIII ., hat es höchstselbst so verfügt.«
»Amen«, sagte ich und schlug schnell das Kreuz. »Trotzdem wäre ich beim Fädenziehen gern dabei.«
Marta lachte. »Schuster, bleib bei deinem Leisten.«
Ich lachte nicht, denn nur zu gern hätte ich mehr erfahren über die geheimnisvolle Operation, bei der sich ein herausgetrennter Hautlappen in eine Nase verwandelte. Aber das war natürlich nicht möglich.
»Du solltest jetzt zu Conor gehen, wenn du ihm noch Lebewohl sagen willst, Carla.«
»Ja, das will ich«, sagte ich und ging zu ihm in den kleinen, nach Süden gelegenen Raum. Dort puderte ich die Operationsnähte ein letztes Mal mit Myrrhe, getrocknetem Drachenblut und Weihrauch ein und tupfte die Spuren anschließend aus Conors Gesicht.
»Ihr macht das sehr gut, Schwester. Schade, dass ich Euch verlassen muss.«
»Ich finde es auch schade«, sagte ich.
»Arrivederci,
Conor. Ich hoffe, deine Nase wird irgendwann wieder genauso aussehen wie früher.«
»Ach«, antwortete er leichthin, »und wenn nicht, hab ich immer noch den Scudo vom Professor.«
»Das stimmt«, sagte ich. »Aber vielleicht wirst du ja auch beides haben.«
»Sì, sì.«
Conor grinste.
»Se Dio vuole.«
»Ogni bene.«
Später am Tag arbeitete ich wieder in der Wäschekammer. Ich faltete die liegengebliebenen Leinenstücke zusammen und wurde plötzlich durch ein scharfes Krächzen aufgeschreckt. Ich blickte aus dem Fenster. Auf dem Hof hatte man Conor für den Transport auf einen Wagen gehoben, und über ihm kreiste ein großer schwarzer Vogel.
Es war Massimo.
Die Hutnadel
Il spillone
ch saß am gleichen Abend in meinem Haus und wartete auf Marco. Wir waren verabredet, er sollte etwas Essbares aus einer Osteria in der Stadt mitbringen, denn meine Vorratskammer war schon seit Tagen nicht mehr gefüllt. Doch als er endlich kam, erschien er mit leeren Händen. »Ich weiß, dass ich es vergessen habe«, rief er zur Begrüßung, »drei Schritte vor deiner Haustür fiel es mir ein. Weißt du was, wir gehen zusammen essen, das haben wir noch nie gemacht, und die Trattoria
Da Paolo
ist wirklich gut und billig, und Paolo ist nicht so ein Halsabschneider wie andere Wirte.«
»Nein«, sagte
Weitere Kostenlose Bücher