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Die Medica von Bologna / Roman

Die Medica von Bologna / Roman

Titel: Die Medica von Bologna / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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angesprochen werden wollen, und geben wollen sie auch nichts. Deshalb darf man am besten gar nicht wie ein Bettler aussehen und muss rasiert sein und saubere Kleider und Schuhe tragen, möglichst teure. Da muss man erst mal rankommen, an solche Klamotten. Aber auch wenn man welche hat, kommt’s immer noch auf die richtigen Worte an. Am besten soll’s funktionieren, wenn man auf die Leute zugeht, ein hilfloses Gesicht zieht und sagt: ›Verzeiht, dass ich Euch anspreche, ich komme aus Rom und bin auf der Durchreise. Mir ist gerade meine Geldkatze gestohlen worden, würdet Ihr mir mit ein paar Paoli aushelfen, ich wäre sonst in der misslichen Lage, meine Zeche in der Osteria nicht begleichen zu können?‹ Meistens klappt das. Aber man muss den Standort häufig wechseln, sonst fällt es den Leuten auf. Ich für meinen Teil sitz lieber am großen Neptunbrunnen, da weiß ich, was ich hab.«
    »Hast du denn auch ein Tier?«, fragte ich.
    »Ja, ratet mal, was für eins.«
    »Das weiß ich nicht. Im Raten bin ich nicht besonders gut.«
    »Dann sag ich es Euch: Es ist ein Rabe, er heißt Massimo. Ich hab ihn schon, seit er ein Küken war. Ist sehr anhänglich und schlau, der Massimo. Ich hab ihm sogar beigebracht, zwischen Silber und Kupfer zu unterscheiden.«
    »Warum das denn?«
    Conor grinste. »Weil’s sehr einträglich ist. Wenn ich den Leuten sag, dass er Metalle an der Farbe erkennen kann, glauben sie’s meistens nicht, und dann sag ich, sie sollen mal ein paar Münzen aus ihrem Geldbeutel holen und ihm den Inhalt zeigen. Und wenn sie’s tun, frag ich Massimo: ›Wo ist das Silber?‹, und dann pickt er sich ein silbernes Geldstück zwischen dem Kupfergeld raus. Natürlich nur, wenn eins da ist. Das klappt immer, aber es war auch nicht leicht, ihm das beizubringen, das könnt Ihr mir glauben, Schwester. Die Leute sind immer so erstaunt, dass ich die Münze meistens behalten darf. Wie gesagt, Massimo ist schlau, und dass er schlau ist, zahlt sich aus.«
    »Wo ist er denn jetzt?«
    »Ich schätze, ganz in der Nähe. Sitzt wahrscheinlich irgendwo auf einem Dach, der Bursche.«
    »Und wer kümmert sich um ihn?«
    »Niemand. Der kümmert sich schon um sich selbst.«
     
    Als wir einen Tag später abermals ins Gespräch kamen, ich hatte Conors Rückenkissen gerade frisch aufgeschüttelt, erzählte er von weiteren staunenswerten Eigenschaften seines Raben. »Wisst Ihr, Schwester«, sagte er, »Massimo ist nicht nur schlau, er ist auch ein guter Melder.«
    »Ein Melder? Was meldet er denn?«
    »Gefahr, Schwester.« Conor machte eine Pause, um seinen Worten mehr Bedeutung zu verleihen. »Wenn ich durch die Straßen geh, sitzt er meistens auf meiner Schulter, aber manchmal, wenn wieder mal viel Unruhe in der Stadt ist, befehle ich ihm: ›Flieg, Massimo, flieg, sag Bescheid, sag Bescheid!‹, und dann erhebt er sich in die Lüfte und guckt von oben die Straße runter, ob irgendwo Gefahr lauert.«
    »Gefahr lauert?« Ich zog die Bettdecke glatt. »Was meinst du damit?«
    »Vieles, Schwester, vieles. Raufereien, Duelle, Überfälle, Fehden und all das. So was ist in Bologna an der Tagesordnung.«
    »Das kann ich mir kaum vorstellen.«
    »Ist aber so, glaubt mir. Immer wieder kommt’s vor, dass gedungene Schützen jemanden auf offener Straße erschießen. Das geht blitzschnell, da ist man gut beraten, wenn man nicht in der Schusslinie steht. Erst neulich bin ich fast in so was reingeschlittert. Da gingen ein paar Pilger in der Via Carronara, das ist ’ne Seitengasse nördlich der Piazza Maggiore, die sahen aus, als könnten sie kein Wässerchen trüben, aber auf einmal rissen sie Pistolen aus ihren Kutten und schossen zwei Fußgänger über den Haufen. Später hieß es, es wären die Grafenbrüder Alberto und Prospero Castelli gewesen, die mit den Pepolis in Fehde sind. Ob’s stimmt, weiß ich nicht. Jedenfalls ist mir nichts passiert, weil Massimo mich aus der Luft gewarnt hat. Er hat ’nen sechsten Sinn für Sachen, die faul sind. Er flattert dann wie verrückt hin und her und kräht, dass man’s über alle Türme hinweg hört, und dann weiß ich Bescheid und kann mich rechtzeitig verkrümeln.«
    »Vor dem Messerhelden, dem du die verstümmelte Nase verdankst, hat er dich aber nicht gewarnt, oder?«
    »Er ist nur ein Vogel, und manchmal erwischt es einen eben doch.« Conor lächelte treuherzig. »Ich geb Euch einen guten Rat, Schwester, geht immer nur auf den großen, breiten Straßen, wenn Ihr allein geht. Da ist es

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