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Die Medica von Bologna / Roman

Die Medica von Bologna / Roman

Titel: Die Medica von Bologna / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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nahezu so hoch wie die Pfosten des Betts und mindestens eine Armspanne breit – und ungefährlich. »Ihr seht, der Spiegel kann Euch nichts anhaben. Ich habe ihn mit der Bettdecke verhängt.« In der Tat bedeckte ein großes goldfarbenes Damasttuch auch den letzten Quadratzoll dieses
brutto nemico,
und ich atmete auf.
    »Euch kann gar nichts passieren, außerdem bin ich ja da.«
    »Und jetzt?«, fragte ich zaghaft.
    »Jetzt setzt Ihr Euch auf das Bett und harrt der Dinge, die da kommen.«
    Ich setzte mich, sprang aber sogleich wieder auf. »Ich möchte nicht, es schickt sich nicht …«
    Sanft drückte er mich wieder zurück. »Dies ist das Schlafzimmer meiner Mutter. Sie ist die strengste Gouvernante, die sich denken lässt, sogar wenn sie nicht anwesend ist. Es kann also gar nichts passieren.«
    »Was habt Ihr vor?«
    »Ihr werdet es gleich erfahren.« Er setzte sich neben mich und zog ein kleines Tischchen mit allerlei Behältnissen zu sich heran.
    »Was ist das?«
    »Gleich. Schließt die Augen.«
    Ich gehorchte und merkte, wie er mir das Barett mit dem Schleier abnahm. Dann passierte eine Weile nichts, ich hörte ihn nur geschäftig mit irgendwelchen Tiegeln und Töpfen hantieren, und dann, plötzlich, spürte ich etwas Feuchtes an meinem Feuermal. Ich riss die Augen auf und sah ihn mit einem weißen Wattekissen in der Hand. »Was macht Ihr da?«
    »Ich schminke Euch.«
    »Nein!« Ich wollte aufstehen, wurde aber erneut zurückgedrängt. »Lasst es doch einfach über Euch ergehen, Ihr werdet erstaunt sein über den Effekt.«
    Ich gehorchte widerstrebend. »Was ist das, was habt Ihr da?«
    »Bleiweiß. Gleichmäßig aufgetragen, verleiht seine Deck-kraft eine makellose Blässe. Ihr werdet sehen, es trocknet schnell und ist darüber hinaus sehr angenehm auf der Haut.«
    »Woher wisst Ihr das alles?«
    »Von meiner Mutter. Ihr gehören diese Utensilien. Ich gebe zu, ich kenne mich damit nicht sehr gut aus, aber Bleiweiß ist mir ein Begriff.«
    Ich ließ es zu, dass er mir die gesamte linke Gesichtshälfte mit Bleiweiß bestrich, wobei ich, ob ich wollte oder nicht, die Augen schließen musste. Als er mit der linken Gesichtshälfte fertig war, sagte er: »Die rechte Seite muss auch noch behandelt werden, sonst wäre der Unterschied zu der natürlichen Farbe Eurer Haut zu groß.«
    »Wie ist denn meine Haut?«
    »Wunderschön, Carla. Sie ist rein und faltenlos und hat einen ganz leichten Olivton.« Er strich mit den Fingerspitzen über meine Wange, und ich erschauerte.
    »Wunderschön, Carla.«
    Wieder streichelte er mich. Nach einer Weile sagte er: »Eigentlich ist Eure Haut viel zu schön, um sie mit Bleiweiß abzudecken«, doch ich hörte seine Worte kaum, denn der Zauber des Augenblicks hielt mich gefangen.
    Irgendwann machte er weiter, als wäre nichts gewesen, und als er aufhörte, sagte er: »Nun zu Euren Lippen. Ich habe hier rote Farbe der Koschenille.«
    »Koschenille, Dottore?«
    »Soviel ich weiß, handelt es sich dabei um eine Schildlaus, die in der Neuen Welt auf Disteln und Kakteen lebt. Getrocknet und in Wasser und Schwefel ausgekocht und kundig weiterbehandelt, liefert sie letztendlich das verführerische Rot für den weiblichen Mund.«
    Die Vorstellung, dem Produkt einer Laus ausgesetzt zu sein, war mir nicht sehr angenehm, aber ich ließ es zu, dass er das Rot mit einem feinen Pinsel aus Marderhaaren auf meine Lippen strich. Dann geschah eine Weile nichts, und ich öffnete die Augen wieder. »Was tut Ihr?«, fragte ich.
    »Ich schaue Euch an.«
    Er musterte mich in der Art, die ich kannte und die mich jedes Mal unruhig machte. Da ich nichts anderes zu tun wusste, schloss ich wieder die Augen und sagte: »Gewiss stehen Bleiweiß und Koschenille auch in dem Buch
Secreti diversi?
«
    »Gewiss«, sagte er.
    »Dann ist beides sicher auch giftig?«
    »Ja.«
    »Dann will ich nicht …« Ich wollte weitersprechen, aber es ging nicht, denn er küsste mich. Er drückte seine Lippen auf die meinen, und er tat es sanft und bedächtig, und ich dachte, so müsse Honig schmecken. Dann fiel mir ein, dass Honig bei weitem nicht süß genug war für das, was ich empfand, und ich grübelte, was süßer sei, aber mir fiel nichts ein. Ich konnte mich nicht konzentrieren, konnte keinen klaren Gedanken fassen, denn immerfort küsste er mich, und es war mir, als ströme das Glück in alle meine Glieder, warm und wohlig und nie gekannt. Endlich löste er seine Lippen von mir und sagte: »Bleiweiß ist nur ein bisschen

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