Die Medica von Bologna / Roman
dreiunddreißig Jahre alt und leidet unter einem Bruch und einer Verrenkung im linken Arm. Beides führt dazu, dass er den Ellbogen weder strecken noch beugen kann. Der Graf äußerte, der Arm sei zunächst wohl falsch versorgt worden, aber nun hoffe er auf Besserung. Ich sagte ihm, dass ich alles nur Denkbare unternehmen wolle, um ihm zu helfen. Morgen will er wiederkommen, damit ich ihn untersuchen und eine genaue Diagnose stellen kann.«
»Und dabei soll ich …?«
»Genau, Carla, ich lege Wert auf Eure Anwesenheit. Ich nehme an, Ihr habt im Hospital der Schwestern schon eine Reihe von Brüchen behandelt?«
»Selbstverständlich, Dottore.« Mein anfänglicher Ärger darüber, dass er mich wieder einmal genasführt hatte, war längst verflogen. »Wann soll ich hier sein?«
»Kommt um die dritte Nachmittagsstunde.«
»Gern, Dottore, gern!
Arrivederci.
«
»
Arrivederci,
Carla.«
Wie auf Wolken verließ ich ihn.
Keine vierundzwanzig Stunden später sah ich Dottore Tagliacozzi wieder.
Für sein Behandlungsgespräch hatte er den Raum unterhalb der Dachterrasse gewählt, den ich schon kannte. Wie vormals Signore Badoglio saß der Graf auf einem Stuhl. Er war ein kleiner, für seine jungen Jahre schon recht korpulenter Mann, wie sein entblößter Oberkörper bewies. Seine Haut war weiß wie der eines Fischbauchs und überall stark behaart, auch am Rücken. Trotz dieser Schönheitsmängel trug er eine Miene zur Schau, wie sie vielen Adligen zu eigen ist: eine Mischung aus Überheblichkeit und Langeweile.
Der lädierte Arm wies Deformierungen und schlecht verheilte Wunden auf. Doktor Tagliacozzi hatte den Ellbogen vorsichtig angehoben und sagte gerade: »Da ist etwas zusammengewachsen, das so nicht hätte zusammenwachsen dürfen, lieber Graf.«
»Wie meint Ihr das?« Die Stimme des Adligen klang näselnd.
»Bevor ich Euch antworte, darf ich Euch Schwester Carla vorstellen. Sie arbeitet im Hospital der frommen Schwestern von San Lorenzo und hat sehr viel Erfahrung mit Bruchverletzungen.«
»Sie ist zu spät.« Der Graf hielt es nicht für nötig, mich zu begrüßen, er sah mich kaum an. Damit nicht genug, hatte er mit seinem Vorwurf unrecht. Er war es, der zu früh erschienen und somit unpünktlich gewesen war.
»Verzeiht, Graf.« Doktor Tagliacozzi überging die Ungehörigkeit. »Könnt Ihr den Arm zur Seite anheben und gleichzeitig beugen?«
Der Graf versuchte es, doch es gelang nicht. Drei Gründe mochten dafür sprechen: die durch den Bewegungsmangel zurückgebildete Muskulatur, die Schmerzen bei der Ausführung und die halbherzigen Bemühungen des Grafen. Jedenfalls sah ich mit einiger Befriedigung, dass seine blasierte Miene sich zusehends zu der eines Mannes wandelte, der unter Schmerzen litt.
»Schwester Carla, bitte mischt ein wenig
laudanum
an, damit der Graf keine Beschwerden verspürt, während ich die für die Untersuchung notwendigen Flexionen und Extensionen des Arms vornehme.« Der Doktor unterbrach sich und blickte den Grafen an. »Für eine gesicherte Diagnose sind eine Reihe von Beugungs- und Streckungsversuchen notwendig. Ich kann Euch diese Prozedur leider nicht ersparen.«
»Macht, was Ihr für nötig befindet.« Auf des Grafen Stirn bildeten sich Schweißtropfen.
Mittlerweile hatte ich die Tinktur aus Alkohol und dem Saft des Opiums im richtigen Mischungsverhältnis hergestellt, und der Graf schluckte das Gebräu mit säuerlichem Gesichtsausdruck hinunter. Wir warteten eine Weile, bis die Wirkung des
laudanums
einsetzte. Die Zeit verging langsam, denn der Graf schwieg und schien an einer Unterhaltung nicht sonderlich interessiert. Dann begann die eigentliche Untersuchung, die aus viel mehr als nur Beugungen und Streckungen des Arms bestand. Der Graf wurde angehalten, jeden einzelnen Finger der Hand zu bewegen, musste Greifübungen machen, die Faust ballen, das Handgelenk drehen. Doktor Tagliacozzi befühlte immer wieder die Bruchstelle, besah sie von allen Seiten, beroch sie und hielt sogar sein Ohr daran. Es fehlte nur noch die Verkostung der Verletzung, und er hätte alle seine fünf Sinne für die Diagnose eingesetzt.
Aber auch so kam er zu einem Ergebnis. Er sagte: »Ich habe leider keine guten Nachrichten für Euch, Graf. Die Funktion des Arms wird nicht vollends wiederhergestellt werden können. Diese Erkenntnis hat zweierlei Gründe: Erstens ist der Knochen nicht gut zusammengewachsen, und zweitens befindet sich noch Kammerwasser in jenen Sehnen der Muskeln, die für das
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