Die Medica von Bologna / Roman
warum?«
»Weil es so ist, mein Bleiweißmädchen.« Wieder küsste er mich, und ich kam nicht mehr dazu, weiterzufragen.
Ein andermal brachte ich zur Sprache, warum es guten und schlechten Eiter gebe, aber eine befriedigendere Auskunft, als Marco sie mir seinerzeit gegeben hatte, wusste Gaspare auch nicht. Er sagte nur: »Erfahrung.«
Die Antwort genügte mir nicht, denn ich dachte, wenn man, statt Erfahrungen und Beobachtungen zu sammeln, die Ursachen für etwas wüsste, wäre das Verständnis für die Zusammenhänge in der Medizin weitaus besser. Aber ich sagte nichts und strich Gaspare über seine lange Nase, die in der Mitte einen kleinen Höcker aufwies. »Deine Nasenmodelle aus Terrakotta sind sehr schön«, sagte ich.
»Hm.« Er schlief schon halb.
»Aber sind sie nicht überflüssig?«
»Wie meinst du das?« Jetzt war er wach und blickte mich stirnrunzelnd an.
»Du hast doch gesagt, die Modelle dienen als Vorlage für die späteren
tectoria,
ich meine, für die bronzenen Schablonen?«
»Ja, sicher. Und?«
»Wenn es nur zwölf Modelle für die späteren Schablonen gibt, dann gibt es ja auch nur zwölf unterschiedliche Schablonen?«
»Das hast du messerscharf erkannt.«
»Und wenn die Schablonen identisch mit den Modellen sind, frage ich mich, warum du sie dem Patienten nicht gleich zeigst. Anhand der Schablonen könnte er seine gewünschte Nasenform doch genauso erkennen, und du hättest einen Arbeitsschritt gespart?«
»Nun, in der Theorie mag das stimmen.«
»Und warum setzt du das nicht in die Praxis um? Es wäre doch einfacher?«
Gaspare seufzte in komischer Verzweiflung. »Ich liege hier im Bett mit einer wunderschönen jungen Frau, die einen makellosen Körper hat, für den die Figur der Venus Vorbild gewesen sein könnte, doch auf diesem Körper sitzt ein Kopf, der sich viel zu viele Gedanken macht.« Er küsste mich. »Du bist nicht nur mein Bleiweißmädchen, du bist auch eine Warumfragerin. Warum fragst du nur so viel?«
»Weil ich neugierig bin. Neugier ist die Triebfeder aller Forschung, das hat irgendwann ein Mann gesagt. Ich finde das richtig, und ich finde, ich als Frau habe genauso ein Recht auf Neugier wie die Männer.«
»Natürlich.« Gaspare hielt das Gespräch für beendet und wollte sich umdrehen, um noch ein wenig zu schlummern, bis der Graf zur Behandlung eintraf, aber ich ließ es nicht zu. Ich streichelte seine Wange und suchte seinen Blick. »Ich finde, es gibt kluge Männer, so wie dich, und es gibt dumme, so wie den Grafen, dasselbe gilt meiner Meinung nach gleichermaßen für Frauen. Sie stehen Männern in nichts nach, sie sind genauso intelligent, und ich finde es höchst ungerecht, dass ihnen das Studium am Archiginnasio verwehrt ist, ich …«
»Ach, darauf wolltest du hinaus.«
»Ja, genau darauf. Die Männer beanspruchen in jeder Hinsicht alle Rechte für sich, sie wollen eben beide Enden des Riemens für sich haben!«
»Sag mal, was ist das für ein seltsamer Satz? Ist der etwa von dir?«
»Nein, er ist von einer gewissen Christine de Pizan, einer Venezianerin, die später in Frankreich lebte. Sie schrieb das Buch
Die Stadt der Frauen,
in dem sie für die Rechte der Frauen eintritt.«
Gaspare runzelte die Stirn. »Christine de Pizan? Nie gehört.«
»Vielleicht solltest du sie kennen. Ihr Vater war immerhin Tommaso di Benvenuto da Pizzano, der bis 1356 als Professor für Astrologie an der hiesigen Universität wirkte.«
»Ach so.« Gaspare schien jetzt doch beeindruckt. »Trotzdem, lassen wir die Dame ruhen. Und wir sollten dasselbe tun.«
»Christine de Pizan sagt, Frauen seien von Natur aus den Männern nicht unterlegen, ihnen würden nur nicht die gleichen Möglichkeiten eingeräumt. Und ich teile ihre Meinung.«
»Tu das nur. Und nun lass mich noch ein wenig schlafen.«
Bei einer seiner letzten Behandlungen fragte der Graf von Modena: »Was ist, wenn keine weitere Verbesserung mit meinem Arm eintritt, Dottore? Ich bin nicht gewillt, mich mit dem bisher Erreichten abzufinden.«
Gaspare presste die Lippen aufeinander, eine Eigenart, die mir sagte, dass er verärgert war. »Ich habe Euch von Anfang an gesagt, Graf, dass eine völlige Wiederherstellung Eures Arms nicht möglich ist. Wenn Ihr jedoch nichts unversucht lassen wollt, empfehle ich Euch einen Aufenthalt in Padua, um dort Schlammbäder zu nehmen. Auch mag ein regelmäßiges Baden im Brei der Traube Euren Arm stärken.«
»Ist das alles?«
»Ja, mit allen weiteren Wünschen richtet
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