Die Medica von Bologna / Roman
Strecken und Beugen des Arms notwendig sind.«
»Ich hätte gern etwas Erfreulicheres von Euch gehört, Dottore«, näselte der Graf. Es klang so, als trage Doktor Tagliacozzi persönlich Schuld an der unerfreulichen Nachricht.
Doch dieser ließ sich nicht beirren. Er fuhr fort: »Da es nicht mehr möglich ist, den ersten Grund zu korrigieren, kann ich nur noch den zweiten Grund behandeln, so leid es mir tut. Ich will Euch reinen Wein einschenken, Graf: Die komplette Bewegungsfreiheit Eures Ellbogens kann, wie gesagt, nicht wiederhergestellt werden, doch mag sich der augenblickliche Zustand sehr stark verbessern lassen, wenn das Wasser in den Sehnen durch geeignete Arzneien aufgelöst wird.«
»Haltet Ihr das für möglich?«
»Ich würde es Euch sonst nicht empfehlen.« Mit dieser Bemerkung hatte der Doktor den Grafen endlich einmal in die Schranken gewiesen – und das mit dem natürlichsten Lächeln der Welt. Ich bewunderte ihn dafür.
»Dann sei es so.«
»Sehr schön, Graf. Die Behandlung ist für heute beendet. Schwester Carla gibt Euch die
laudanum-
Arznei mit, falls die Schmerzen Euch wieder quälen. Nehmt einen kleinen Löffel davon, das wird genügen. Wenn es Euch recht ist, sehen wir uns übermorgen wieder, am besten zur Stunde der Abendmesse, also der sechsten nach Mittag. Vielleicht gibt es mitfühlende Seelen in Eurem Haus, die zur selben Zeit für eine erfolgreiche Therapie beten.«
»A Dio piacendo!«
Der Graf erhob sich, und ein Diener erschien, um ihm beim Ankleiden zu helfen. Der Doktor und ich warteten, bis er sich verabschiedet hatte, und tranken dann das inzwischen üblich gewordene Glas Wein im Kaminzimmer mit den Nasenmodellen. Nachdem wir einander zugeprostet hatten, sagte ich: »Dottore, wozu braucht Ihr mich eigentlich bei dieser Behandlung? Ich habe heute nicht mehr getan, als etwas
laudanum
angerührt. Das hätte jeder andere auch gekonnt.«
»Das mag sein, liebe Carla.« Der Doktor lächelte. »Aber das, was die Therapie ab übermorgen erfordert, wird weitaus schwieriger werden, und deshalb benötige ich Eure Hilfe.«
»Was wird denn so schwierig sein?«
»
Salute,
Carla.«
»Was wird denn so schwierig sein?«
»Lasst Euch überraschen.
Salute.
«
»
Salute,
Dottore. Manchmal seid Ihr wie eine Auster.«
»Eine Auster? Nun gut, aber wenn, dann eine, in der Ihr die Perle seid.«
Meine hochfliegenden Gedanken, die ich den ganzen nächsten Tag wegen der letzten Bemerkung des Doktors hatte, wurden am Nachmittag unterbrochen durch das Eintreffen eines Boten. Es war derjenige, den ich schon kannte. Er kam von Doktor Tagliacozzi und übergab mir diesmal keinen Brief, sondern ein Paket.
»Danke, wartest du auf Antwort?«, fragte ich.
»Nein, Signorina, ich soll Euch nur noch einen guten Tag wünschen.
Arrivederci.
« Er verbeugte sich knapp und eilte davon.
Ich ging ins Haus und öffnete in freudiger Erwartung das Paket. Es enthielt einen Brief und ein Buch. Der Brief war von Doktor Tagliacozzi und hatte folgenden Wortlaut:
Liebe Carla,
heute Vormittag erhielt ich eine Nachricht des Grafen von Modena, in der er mich bittet, dafür zu sorgen, dass meine Assistentin, also Ihr, bei der Behandlung nicht verschleiert auftritt. Fragt mich nicht, was ich von dieser Bitte halte, doch wird es sich nicht vermeiden lassen, ihr zu entsprechen. Vielleicht ist das Buch, das ich Euch hiermit übersende, der Schlüssel für eine Lösung des Problems.
Ich freue mich auf morgen.
G. T.
Neugierig nahm ich das in schweres Leder gebundene Buch zur Hand. Es trug den Titel
Secreti diversi
und war verfasst worden von einem gewissen Gabriele Falloppio. Doktor Tagliacozzi schien vorausgeahnt zu haben, dass mir der Titel
Verschiedene Geheimnisse
wenig sagen würde, und hatte deshalb ein paar erklärende Zeilen beigefügt. Aus ihnen ging hervor, dass Falloppio 1562 verstorben war und bis zu diesem Zeitpunkt in Padua ein spezielles haarwuchsförderndes Öl herstellte und verkaufte. Seine Kundinnen kamen überwiegend aus Venedig, aber auch aus Padua, Bologna und Ferrara, und wandten neben seinem Öl auch ein von ihm entwickeltes Blondierungsverfahren an, mit dessen Hilfe sie ihre Haare aufhellten. Allerdings war dieses Verfahren so aggressiv, dass vielen von ihnen die Haare ausfielen, was, wie der Doktor spöttisch anmerkte, vielleicht durchaus beabsichtigt war, um den Verkauf des Öls anzukurbeln. Falloppio, der im Übrigen ein tüchtiger Arzt und Chirurg gewesen sei, habe der Nasenrekonstruktion
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