Die Meerhexe
»Verdammt nochmal«, sagte Howell zu Belton, »ich habe doch strikte Anweisung gegeben, uns …«
»Es ist für Lord Worth.« Die Sekretärin sah Belton an. »Ein Mr. Michael Mitchell aus Florida. Er sagt, es sei sehr dringend.« Der Außenminister nickte. Sie stand auf und gab den Hörer an Lord Worth weiter.
»Hallo, Michael! Woher wissen Sie, daß ich hier bin? Ja, ich höre zu.«
Das tat er auch wirklich, ohne seinen Gesprächspartner nur einmal zu unterbrechen. Und während er zuhörte, beobachteten die anderen im Raum Anwesenden mit wachsender Besorgnis, wie er allmählich aschfahl wurde. Schließlich stand Belton auf, goß höchstpersönlich einen Brandy in ein Glas und brachte es Lord Worth, der es ohne hinzuschauen entgegennahm und in einem Zug leerte. Belton nahm es ihm wieder ab, um es erneut zu füllen. Der Lord nahm es zwar, trank jedoch diesmal keinen Tropfen. Statt dessen gab er Belton – ohne ein Wort zu sagen – den Hörer und bedeckte seine Augen mit der Hand.
»Außenministerium«, sagte Belton, »wer ist da?«
Mitchells Stimme war zwar leise, aber klar zu verstehen. »Hier spricht Michael Mitchell. Ich rufe aus Lord Worths Haus an. Spreche ich mit Mr. Belton?«
»Ja. Lord Worth scheint einen schweren Schock erlitten zu haben.«
»Das glaube ich, Sir. Ich mußte ihm gerade mitteilen, daß seine beiden Töchter entführt worden sind.«
»Gütiger Herrgott!« Beltons sprichwörtliche Gelassenheit war auf eine zu harte Probe gestellt worden – noch nie zuvor hatte jemand eine derartige emotionale Reaktion bei ihm erlebt. Vielleicht lag es an der nüchternen Art, auf die er die Neuigkeit erfuhr. »Sind Sie sicher?«
»Ich wünschte, ich wäre es nicht, Sir. Wir – mein Partner John Roomer und ich – sind Privatdetektive, aber wir sind nicht hier, um Nachforschungen anzustellen, sondern weil wir Nachbarn und Freunde von Lord Worth und seinen Töchtern sind.«
»Haben Sie schon die Polizei verständigt?«
»Ja.«
»Und was ist unternommen worden?«
»Wir haben dafür gesorgt, daß alle Fluchtwege zu Luft und zu Wasser abgeriegelt worden sind.«
»Haben Sie Beschreibungen der Täter?«
»Nur sehr ungenügende: Es waren fünf Männer, schwer bewaffnet und mit Strumpfmasken unkenntlich gemacht.«
»Was halten Sie von Ihrer örtlichen Polizei?«
»Nicht viel.«
»Ich werde das FBI einschalten.«
»Gut Sir. Aber da man noch keine Spur von den Gangstern hat, ist es auch nicht gesagt, daß sie die Staatsgrenze bereits überschritten haben.«
»Zum Teufel mit Staatsgrenzen und Vorschriften. Wenn ich sage, das FBI soll sich einschalten, dann schaltet es sich ein, basta. Bleiben Sie dran – ich glaube, Lord Worth will noch einmal mit Ihnen sprechen.« Er gab den Hörer wieder ab. Die Gesichtsfarbe des Lords normalisierte sich allmählich wieder.
»Ich fliege gleich los. In knapp vier Stunden bin ich da. Ich melde mich eine halbe Stunde nach dem Start aus der Boeing. Holen Sie mich am Flugplatz ab.«
»Gut, Sir, Commander Larsen würde gern wissen …«
»Informieren Sie ihn.« Lord Worth legte den Hörer auf und nahm jetzt doch einen Schluck aus dem Glas. »Nur ein alter Narr konnte einen sich so offensichtlich anbietenden Schachzug übersehen – und ich bin ein alter Narr. Wir befinden uns im Krieg, und im Krieg ist bekanntlich alles erlaubt. Es ist absolut unverzeihlich, daß ich meine Töchter ohne Bewachung zurückgelassen habe. Warum hatte ich nicht soviel Verstand, Mitchell und Roomer als Leibgarde zu verpflichten?« Er warf einen Blick auf sein leeres Glas, und die Sekretärin folgte der stummen Aufforderung.
Belton sah leicht skeptisch drein. »Gegen fünf bewaffnete Männer?«
»Ich vergaß, daß Sie die beiden nicht kennen«, sagte Lord Worth. »Mitchell wäre sogar allein mit ihnen fertig geworden.«
»Die beiden sind also Ihre Freunde, und Sie schätzen sie. Bitte verstehen Sie das nicht falsch, aber wäre es nicht möglich, daß sie in der Sache verwickelt sind?«
»Sie müssen den Verstand verloren haben!« Mit immer noch düsterem Gesicht nippte Lord Worth an seinem dritten Brandy. »Bitte entschuldigen Sie – ich bin im Augenblick nicht ganz zurechnungsfähig. In gewisser Weise haben Sie sogar recht: die beiden würden meine Töchter nur zu gern entführen – und meine Töchter hätten absolut nichts dagegen.«
»Tatsächlich?« Belton war ziemlich überrascht – seiner Erfahrung nach gaben sich die Töchter von Milliardären nicht mit Angehörigen
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