Die Meerjungfrau
schaden — und bisher waren Sie ja hilfsbereit.« Ich hörte, wie
er unter irgendwelchen Papieren auf seinem Schreibtisch kramte und dann mit der
Adresse herausrückte.
»Danke, Sam. Auf den Drink
kommen wir später noch mal zu sprechen«, sagte ich, während ich die Adresse auf
ein Streichholzmäppchen schrieb.
Wie kam es nur, daß in diesem
Fall alle Beteiligten entweder in den Wohngegenden der oberen Zehntausend oder
in den armseligsten Vierteln wohnten? Dazwischen gab es überhaupt nichts.
Addisons Haus lag an einer dieser West-Side-Straßen, in denen Haufen von Abfall
im Rinnstein liegen und die Mietskasernen an jeder Seite entsprechend aussehen.
Es handelte sich um ein schmales schmutziges Gebäude mit einem Eingangsflur,
der geradewegs durch dieses hindurch auf eine Nebenstraße führte.
Ich musterte die Briefkästen
und stellte fest, daß ein Addison aufgeführt war und daß er auch eine Frau
hatte. Ich stieg die Treppe hinauf. Aus den Wohnungen drang Kindergeschrei, der
Lärm streitender Erwachsener, Radiogeplärr. Ein nettes, zufriedenes,
friedliches Stück Dasein.
Die Wohnung acht
hatte eine grüngestrichene Tür und einen Türklopfer, wie man ihn bei
altmodischen Landhäusern noch vorfindet. Ich klopfte, und die Tür öffnete sich
tatsächlich.
Ich blickte sie von oben bis
unten an, und sie blickte, mich von oben bis unten an, womit wir quitt waren.
Ihr Haar war golden, ein
bißchen unordentlich, aber ihre Figur war gut. Und wer legt schon tagsüber Wert
auf Frisuren?
»Ich heiße Royal«, sagte ich.
»Sind Sie Mrs. Addison?«
»Ja«, sagte sie mit leicht
heiserer Stimme. »Sind Sie der neue Kassierer? Was ist denn aus Harry geworden?
Harry mochte ich. Er war so verständnisvoll — wissen Sie? —, wenn ich das Geld
für die Miete nicht beisammen hatte.«
Ihr Blick ließ für keinerlei Mißverständnisse Raum, und ich fragte mich, warum Harry
nicht da war.
»Harry?« Ich grinste. »Nein,
Sie irren sich. Ich habe nicht...«
»Wir könnten gut miteinander
auskommen — genauso gut wie Harry und ich, da bin ich ganz sicher. Wie heißen Sie
mit Vornamen? Bitte, kommen Sie herein. Sehen Sie, mein Mann arbeitet nachts —
tagsüber schläft er die meiste Zeit.«
Ich trat ein und sah mich in
dem kahlen, warmen Raum um.
»Wollen Sie sich nicht setzen?«
sagte sie. »Ich werde bloß mal schnell nach meinem Mann sehen.« Sie kicherte
und trat leise an eine Tür an der rechten Seite, öffnete sie und spähte ins
Dunkel. Dann kehrte sie auf Zehenspitzen zurück und lächelte mir zu. »Alles
okay, er schläft. Wie, sagten Sie noch, heißen Sie mit Vornamen?«
»Ich habe nichts gesagt, aber
ich heiße Max — Max Royal.«
»Oh, das gefällt mir. Harry ist
ein fader Name, nicht? Was, sagten Sie noch, ist mit Harry passiert?«
»Habe ich gesagt, mit Harry sei
was passiert?«
»Natürlich haben Sie das
gesagt, Dummerchen«, sagte sie. »Aber es ist mir auch egal. Solange Sie jede
Woche kommen, um die Miete einzuziehen — wie ich schon sagte, wir werden gut
miteinander auskommen. Sie werden doch jede Woche kommen, Max, oder nicht?«
Ich fand es an der Zeit, die
Illusion zu zerstören. Wenn es mir auch zuwider war, sie ihrer mädchenhaften
Vorstellungen zu berauben — so schmutzig sie auch waren.
»Sie sind auf dem falschen
Sender, Süße«, sagte ich. »Ich bin nicht wegen der Miete gekommen — und mißverstehen Sie mich jetzt bitte auch nicht. Es hat nichts
mit der Miete zu tun. Ich wollte Ihren Mann sprechen.«
»Louie? Sie wollen ihn
sprechen? Weshalb denn?«
»Louie kennt einen Mann namens
Joe Baxter — sie waren zusammen in der Armee.«
»Mister«, sagte sie kalt, »erst
haben Sie mich auf Touren gebracht, weil ich doch die Miete nicht zahlen kann —
und jetzt schwafeln Sie was davon, daß Louie in der Armee gewesen sei. Mister,
ich weiß nichts davon, ob Louie mit Joe Baxter oder der Mickymaus zusammen in
der Armee war; und es ist mir auch egal. Es interessiert mich nicht — und Sie
können Harry mitteilen, er soll in Zukunft bloß wegbleiben, wenn er solche
Burschen wie Sie herschickt. Jetzt hauen Sie ab, Mister!«
»Immer mit der Ruhe, Mrs. Addison. Ich möchte wissen, ob Joe Baxter hier gewesen
ist. Ihr Mann hat der Polizei gesagt, möglicherweise würde Baxter zu ihm kommen
—«
»Louie würde überhaupt nicht
mit den Polypen reden! Wer hat überhaupt gesagt, Sie seien ein Polyp? Ach, das
ist’s — Sie sind ein Polyp. — Stimmt’s?«
Ich strebte der Schlafzimmertür
zu. Sie
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