Die Meerjungfrau
völlig nutzlos kostbar möblierten Eingangsdiele befand
sich der große Treppenaufgang.
Ich wartete, bis sich meine
Augen etwas mehr an die Dunkelheit gewöhnt hatten, dann ging ich leise auf
Zehenspitzen zur Treppe. Ich stieg sie hinauf, zwei Stufen auf einmal nehmend,
mit äußerster Vorsicht die Füße setzend.
Oben war es ebenfalls dunkel.
Ich blieb stehen und horchte erneut. Diesmal spürte ich, wie meine Haare im
Nacken prickelten.
Die Tür zum Wohnzimmer stand
offen, und ich trat ein. Der Raum war von einem weichen Licht erfüllt, das
durch die vier Glastüren hereindrang.
Ich blieb unmittelbar hinter
der Tür stehen und spähte in jede einzelne Ecke. Nichts schien in Unordnung zu
sein, aber ich hörte einen leisen plätschernden Laut. Dann herrschte wieder
Stille.
Während ich leise durch das
Zimmer ging, wurde der Laut wieder deutlicher, dann begriff ich plötzlich — das
Geräusch war das. Plätschern von Wasser und kam aus dem Badezimmer.
Die Tür war halb geschlossen.
Ich hob die Zweiunddreißiger und stieß sie vollends
mit dem Lauf auf. Dann trat ich ein und preßte mich gegen die Wand. Es hatte
keinen Sinn, das Risiko, daß jemand hinter der Tür stand, zu unterschätzen.
Ich spürte, wie mein
Unterkiefer unwillkürlich nach unten sank. Der feste Knäuel von Furcht, der
sich in meinem Magen gebildet hatte, löste sich in Entsetzen und ein Gefühl der
Übelkeit auf. Der Grund für das nicht funktionierende Licht war plötzlich
offensichtlich.
Helena lag ausgestreckt halb
in, halb außerhalb der Badewanne, eine Hand umklammerte den Rand. Ein starker
Rauchgeruch lag in der Luft, bei dem sich mir die Haare im Nacken sträubten.
Ich suchte ungeschickt nach
Streichhölzern und zündete eins davon an. Das bereute ich. Helenas Augen standen
weit offen; die eine Seite ihres Körpers war hellrot versengt. Der tragbare
Fernsehapparat lag im Wasser über ihrem Unterkörper.
Ein hübsches Bild. Alles völlig
klar und einleuchtend. Die Polizei sollte das Ganze mit einem Blick erkennen.
Helena hatte im Bad gelegen und nach dem Fernsehapparat gegriffen. Es passierte
doch fortwährend, nicht wahr, daß Leute im Bad durch einen elektrischen Schlag
umgebracht wurden, weil sie die hohe Leitfähigkeit des Wassers vergaßen? Der
erste Schlag hatte sie gelähmt; der Apparat war ins Wasser gefallen; sie hatte
den tödlichen Schlag empfangen, der zugleich alle Lichter ausgelöscht hatte —
einschließlich Helenas Lebenslicht.
Aber zweierlei stimmte nicht.
Helena hätte nie versucht, von ihrem Bad aus den Fernsehapparat einzuschalten —
sie hätte mit ihren schlechten Augen gar nichts sehen können. Und nirgendwo war
eine Spur ihrer Brille zu entdecken. Außerdem wußten nur ganz wenige Leute, daß
sie ohne die Brille nicht einmal ein Radio, geschweige denn einen Fernsehapparat
einschalten konnte. Anscheinend gehörte der Mörder nicht zu diesen Leuten.
Ich hielt das Streichholz fest,
bis es mir die Finger verbrannte, und blies es dann mit einem Knurren aus. Es
war klar, was sich ereignet hatte. Helena mußte den Mörder mit mir verwechselt
und gedacht haben, ich sei es, der auf ihren Anruf hin bei ihr auftauchte. Sie
hatte ihn aufgefordert hereinzukommen, und als sie gemerkt hatte, daß nicht ich
es war, hatte sie versucht, aus der Badewanne zu steigen. Der Mörder hatte ihr
wahrscheinlich einen Schlag auf den Kopf versetzt, danach das Fernsehgerät
angestellt und es mit ihr zusammen ins Wasser gekippt.
Ich blieb ungefähr eine Minute
lang stehen, und es war mir sterbensübel. Dann, halb verrückt vor Wut, schwor
ich mir, daß der Mann — oder die Frau — die für das hier verantwortlich war,
auf dieselbe Weise umkommen sollte. Gewaltsam und erbarmungslos.
Ich kehrte ins Wohnzimmer
zurück, zündete mir eine Zigarette an und versuchte zu überlegen, was ich als
nächstes tun mußte.
Dann fiel mir Baxter ein — der
Grund, weshalb ich in erster Linie hergekommen war. Baxter war Techniker
gewesen — er mußte wissen, was geschah, wenn ein eingeschaltetes Fernsehgerät
ins Wasser fiel. Er hatte genügend elektrotechnische Kenntnisse, um den Platz
eines erstklassigen Mordverdächtigen einzunehmen.
Vielleicht hatte ich einen
Fehler begangen, der mir selten unterlief — ich hatte mich von meiner
Sentimentalität überwältigen lassen. Nur weil er eine anziehende kleine Frau
hatte, nur weil sie so hilflos ausgesehen hatte, hatte ich mich an der Nase
herumführen lassen.
Wenn es Baxter war, so hatte
Sam Deane
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