Die Meister der Am'churi (German Edition)
Stimme zum Einsturz bringen. Nahezu taub und halb blind vor Panik tastete er nach seinem Chi’a. Er war bereit zu sterben, aber er wollte mit der Waffe in der Hand zugrunde gehen! Doch der Drache griff nicht an, sondern wand sich wie unter Schmerzen, kauerte sich zusammen, rollte sich auf dem Boden hin und her. Jivvin musste hastig ausweichen, um nicht von dem riesigen Leib dieser Kreatur zerquetscht zu werden. Fassungslos beobachtete er die Zuckungen des Drachen, der in einem fort schrie – und schrumpfte. Immer kleiner wurde er, die Schuppen schwanden, die Flügel, der lange Schweif. Immer menschlicher wurden die Schreie. Doch erst, als Ni’yo atemlos wimmernd vor ihm lag, sich nackt am Boden krümmte, ließ er das Schwert fallen. Ungläubig streckte er die Hand nach dem bebenden Körper aus, konnte es einfach nicht glauben, was er hier mit eigenen Augen gesehen hatte.
Ni’yo wich vor der Berührung zurück, als wäre es ein Schlag gewesen, rollte sich herum, sprang dann auf. Jivvin erschrak: Ni’yo mochte zurückgekehrt sein, doch der Schatten von bösartiger Macht, der so viele Jahre über ihm gelegen hatte, war ebenfalls wieder da, noch viel stärker als jemals zuvor. Dieses Geschöpf dort war ebenso wild und gefährlich wie der Drache. Der alte Hass flammte in Jivvin auf, das unbändige Verlangen, diesen Mann zu töten. Bevor er allerdings sein Chi’a packen konnte, ruckte Ni’yos Kopf herum. Er starrte in den Himmel, auf diesen purpurfarbenen Drachen, gegen den er zuvor gekämpft hatte. Wut verzerrte sein Gesicht und zeichnete ihn noch bedrohlicher, falls dies überhaupt möglich war.
Ni’yo sah, wie Kamur getötet wurde, regelrecht in Stücke gerissen von den Klauen seines Angreifers. Er sah, wie Charur drei Wolfswandler, die versucht hatten, auf vorbeifliegende Drachen zu springen, in den Tod stürzte. Er sah Yumari, die über Orophins niedergestrecktem, blutigen Körper stand und ihn mit dieser grauenhaften Kette verteidigte. All dies hatte er zuvor schon gesehen, mit den Augen eines Drachen. Was für einen Unterschied es ausmachte, von Emotionen und Erinnerungen bewegt zu werden! Ni’yo hörte Jivvin neben sich schreien. Er sah Lynea, die blutverschmiert auf das Plateau kletterte und sofort in Deckung gehen musste, um nicht von Klauen gepackt zu werden. Ein Wolfskrieger flog durch die Luft, von einem Drachen achtlos fortgeschleudert. Sofort raste ein geflügelter Am’churi hinterher und schaffte es, ihn abzufangen und auf das Plateau zu bringen, wo er fast zu Ni’yos Füßen landete und regungslos liegen blieb. Ni’yo wusste, er kannte den Wandler, konnte sich allerdings nicht an den Namen erinnern. Erstaunt sah er, wie sich Lurez in einen Menschen wandelte und den sterbenden Mann in seine Arme riss.
„BRYNN!“, rief er in einem fort. Der tiefe Schmerz in seiner Stimme rüttelte Ni’yo auf.
„Yumari soll sich bereithalten. Das nächste Mal trifft sie ihr Ziel“, sagte er zu Jivvin, der ihn nur entgeistert anstarrte. „Macht Platz!“, brüllte Ni’yo. Er wusste, was er zu tun hatte. In ihm schrie die Finsternis, die seit seiner Geburt alle gefürchtet hatten.
„EIN STURM WIRD KOMMEN, DIE WELT ZU VERNICHTEN, WENN AM’CHUR, DIMATA UND KALESH VERSCHMELZEN“, flüsterte eine Stimme in Ni’yos Bewusstsein. Welcher Gott sprach, er wusste es nicht.
Rascher, als er je zuvor gelaufen war, überwand er die Distanz zum Abgrund, sprang mit aller Kraft ab, weit, immer weiter – wandelte zum Drachen, die Flügel weit gespannt – und verschwand körperlos in den Schatten, wie es sonst ausschließlich die Elfen vermochten. Es gab keine Grenzen mehr, die er akzeptieren musste, und er wusste es.
~*~
Charur spürte die Gefahr nahen, einen kurzen Moment, bevor er aus dem Nichts gepackt und in die Schattenwelt gezogen wurde.
„Du hast es also gewagt“, stieß er hervor, zwischen Staunen und Ehrfurcht schwankend. „Nun, vernichte mich und unterwerfe diese Welt! Fordere die Götter heraus und beuge dich niemandem mehr, außer dem Weltenschöpfer!“ Charur fürchtete sich nicht. Der Tod war ihm eine willkommene Ruhepause von diesem ermüdend langen Leben.
„Ich unterwerfe nicht. Nicht einmal mich selbst unter all diese Macht. Ich könnte dir das Herz aus der Brust reißen, die Berge zum Einsturz bringen, alle Götterstatuen zerstören. Aber das will ich nicht.“
Ni’yo klang ruhig, viel zu ruhig für jemanden, der sich solcher Macht geöffnet hatte. „Wenn ich alles, was ich
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